piwik no script img

Finanziell unabhängige Frauen im KongoTausend Tricks der Mama sai-sai

Philippine Ngubila verkauft Tuch und China-Tee. Sie ist eine unabhängige Geschäftsfrau im Kongo, eine Mama sai-sai, und verdient mehr als mancher Beamter.

Informeller Kleinhandel im Kongo hat viel mit Geschlechterverhältnissen zu tun. Bild: dpa

KINSHASA taz Eine glückliche Frau heißt in Kinshasa "Mama sai-sai". "Sai-sai" ist die Frau dann, wenn sie sich unabhängig gemacht hat vom Mann, wenn sie sich mit ihrem eigenen Geld um die Kinder und um sich selber kümmern kann. "Sai-sai" sind viele Frauen in Kongos Hauptstadt, seit der beständige Niedergang des Kongo Staat und Volkswirtschaft ruiniert hat. Kinshasa, mit seinen 8 Millionen Einwohnern inzwischen die drittgrößte Stadt Afrikas, hat sich in ein anstrengendes Labyrinth verwandelt, voller Ruinen und Elend, aber auch voller Unternehmens- und Überlebensgeist.

Philippine Ngubila kann es sich sogar leisten, in ihrem Marktstand ein Nickerchen zu halten, während um sie herum ihre Handys piepsen und blinken. Die 44-jährige Geschäftsfrau liegt auf einer Holzbank, umgeben von Stoffen in allen Formen und Farben: vom feinen "englisches Tuch" (wax anglais) über das billigere "Super-Soro" und die beliebteste Marke "Sultana" bis zum chinesischen "nzukopi". Sie ist Einzelhändlerin für Stoffe und hat einen Stand im großen "Freiheitsmarkt" von Kinshasa, dem berühmten "Marché de la Liberté" im traditionell aufsässigen Slumviertel Masina.

Man kann kilometerweit durch diesen Markt laufen, der entgegen allen Klischees über informelle Wirtschaft bis ins Detail durchorganisiert ist: Stoffe hier, Schuhe da, Holz hinten rechts, Eisenwaren, Lebensmittel und anderes in eigenen Abteilungen. Mehrere Millionen Menschen leben im Einzugsgebiet dieses Marktes, fast keiner von ihnen hat ein geregeltes Einkommen. Aber die Frauen hier sind nicht irgendwelche Elendsverkäufer. Es sind internationale Geschäftsleute, nur ohne feine Büros.

"Man kann 20 bis 30 Dollar am Tag verdienen", sagt Philippine Ngubila zufrieden. Damit kommt bei ihr in einer Woche mehr zusammen als das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen im Kongo in einem ganzen Jahr. Umsätze von 60 bis 400 Dollar täglich ergeben in der Jahressumme ein stattliches Geschäft. "Es ist ganz einfach", sagt sie. "Ich kaufe für 10, 8 oder 6 Dollar ein und verkaufe für 12, 9 oder 7." Ganz normale Marktwirtschaft eben.

So einfach, wie sie das sagt, ist es natürlich nicht. Nichts von Philippines Ware kommt aus der Demokratischen Republik Kongo selbst. Die einst blühende Textilindustrie des Landes ist längst kaputt. Die Stoffe kommen nun aus Brazzaville, der Hauptstadt der Republik Kongo direkt gegenüber von Kinshasa am Kongo-Fluss, und dorthin kommen sie über Dubai aus Asien. Es ist eine lange Handelskette voller Fallstricke, vor allem dann, wenn man meint, dass sie zu Ende sein müsste: bei der Ankunft in Kinshasa. Der Hafen der Millionenstadt, der "Beach Ngobila", an dem die Fähren aus Brazzaville anlanden, ist ein Brennpunkt sämtlicher behördlicher Übergriffe und krimineller Betrugspraktiken der Hauptstadt. Man muss sich auskennen, um dort nicht geschröpft zu werden bis zum letzten Cent.

Lotsen durch das Chaos

Die organisierten Scharen von Behinderten und Verstümmelten, die ihre Rollstühle und abenteuerliche Radkonstruktionen als Gepäckkarren nutzen und Händlerinnen durch das Chaos des Hafens lotsen, waren auch der Impuls für Philippine, mit dem Stoffhandel anzufangen - 1993, im Jahr, als die Garde des damaligen Diktators Mobutu Kinshasa verwüstete. "Ich sah, wie sich die Frauen auf den Märkten mit den Behinderten stritten", erinnert sich Philippine. Also beschloss sie, selbst in den Handel einzusteigen.

Informeller Kleinhandel im Kongo hat viel mit Geschlechterverhältnissen zu tun. Amtspersonen sind zumeist Männer. Ihre Ehefrauen können jemandem, der eine behördliche Genehmigung braucht, den Weg ebnen oder dank männlicher Deckung eigene Geschäfte machen. Der kaputte Staat ist Männersache - die blühende informelle Wirtschaft gehört vielerorts der Frau.

1.700 Kilometer lang von Kinshasa durch den Urwald ins Landesinnere bietet der Kongo-Fluss den einzigen Verkehrsweg, auf dem sich der riesige, hungrige Moloch Kinshasa mit Lebensmitteln aus den fruchtbaren Binnenprovinzen versorgen kann. So gibt es in Kinshasa neben dem "Beach Ngobila" gegenüber von Brazzaville noch eine Reihe kleinerer Häfen für den Binnenverkehr. Diese Häfen sind fest in der Hand der "Mama Libanga", der Hafenfrauen.

Das ist eine besondere Schicht von Unternehmerinnen, deren Spezialität darin liegt, öffentliche Dienste an den Mann beziehungsweise die Frau zu bringen. Viele waren einst mit Staatsdienern verheiratet. Ankommenden Händlern mit Holzbooten voller Mais, Hühnern und Maniok nehmen sie die Formalitäten ab, manchmal auch gleich die ganze Ware zum Weiterverkauf.

Auch Philippine Ngubila ist eine Art "Mama Libanga", zumindest in Teilzeit. Sie schickt regelmäßig Vertreterinnen in ihre Heimatregion Idiofa in Kinshasas östlicher Nachbarprovinz Bandundu, um Reis und Erdnüsse einzukaufen. Fertiggeschneiderte Kleidung geht aus Kinshasa nach Idiofa, und zurück kommen Säcke voller Nüsse. Die Nüsse werden geröstet und in Miniportionen, nicht mehr als eine Handvoll, in Plastik eingewickelt und auf der Straße verkauft. Für so manchen "Kinois" ist das die einzige Mahlzeit am Tag, sie kostet 300 Kongolesische Franc, einen halben Euro, das ist der Tagesverdienst eines Staatsbeamten auf der untersten Gehaltsstufe.

Kinshasa ist eine Stadt, in der die meisten der 8 Millionen Einwohner nichts zu essen haben und kein Geld verdienen. Die "Kinois" sind in ständiger Bewegung, auf der Suche nach Transport irgendwohin, wo sie einen Tagelöhnerjob ergattern können. In den Holz- und Lehmhütten der matschigen Slums gibt es weder Strom noch fließendes Wasser. Den meisten Menschen sind christlich-apokalyptische Sekten und ihre unmittelbaren Endzeitprophezeiungen näher als die offizielle Politik mit ihren abstrakten Langzeitversprechen.

Hungriger Moloch

Philippine lebt im Stadtteil Limete, einem älteren Viertel voller lauschiger Alleen, an einem lehmigen Weg unter Bäumen auf einer Parzelle mit Innenhof, die sie sich mit drei weiteren Familien teilt. Hier, weitab von den Hauptstraßen voller Staub, Abgas, Lärm und Stress, ist die Metropole noch ihr dörfliches Selbst.

Drei Zimmer, zwei Küchenräume, ein Abstellraum - das ist viel für eine Frau mit vier großen Kindern. An der Wand des gepflegten Wohnzimmers voller Sessel hängt eine Plakette mit der Aufschrift "Gott ist meine Hilfe". Im Wandschrank laufen ein Radio und ein Fernseher - gleichzeitig, wie man es so macht, um zu zeigen, dass man im Überfluss schwelgt. Es gibt sogar einen zweiten Fernseher. Und eine Tiefkühltruhe, unbenutzt.

Aber nicht über Kühlgeräte will Philippine Ngubila sprechen, sondern über den neuesten Renner in Kinshasa: Heilmittel aus China. Sie ist in Limete Vertreterin der Firma Tianshi, einer chinesischen Im- und Exportfirma, die im Kongo "Tiens Tianshi" heißt, was auf Französisch klingt wie ein freundliches "So, so!". Tianshi vertreibt in Kinshasa Tees, die chinesisch sind und damit aus kongolesischer Sicht garantiert gesund. Damit verdient Philippine Ngubila mehrere hundert Dollar im Monat.

Durch Tiens Tianshi ist sie auf den China-Geschmack gekommen. "Ich will auch nach China wie die anderen", sagt Philippine. Sie hat eine Freundin, die schon einmal da war. Chinas Botschaft in Kongos Hauptstadt, schräg gegenüber dem Hauptquartier der UN-Mission im Stadtzentrum gelegen, ist ständig von Scharen wartender Visaantragsteller umgeben.

Aber der Weg nach China ist weit. Der erste Schritt ist die Eröffnung eines Bankkontos - ohne das gibt es kein Visum. Dann folgt eine Reihe von Krediten, um den Stoffstand auf dem Markt durch einen festen Laden zu ergänzen, um das Umsatzvolumen zu erreichen, das eine Auslandsreise rentabel machen könnte.

Das Jonglieren mit so vielen Verdienstmöglichkeiten ist das Geschäftsgeheimnis von Philippine. Alles kann ja von einem Tag auf den anderen enden. Ist Philippine eine glückliche Frau, eine "Mama sai-sai"? Nicht, wenn das hieße, sich bloß auszuruhen. Das Leben ist ein täglicher Kampf. Wenn es regnet, gibt es weniger Umsatz, und es regnet derzeit fast jeden Tag. Für die Zukunft wünscht sie sich Frieden, Gesundheitsversorgung und gute Straßen. "Wir beten", sagt sie.

Einen Mann hat sie übrigens auch. Er lebt von ihr getrennt und arbeitet bei der Weltbank. Nicht in der Wirklichkeit wie sie.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!