■ Filmstarts a la carte: Verführerisch
Und wenn er nicht 1963 in Manila gestorben wäre, dann lebte er noch heute und wäre dieser Tage einhundert Jahre alt geworden: Gustaf Gründgens, genialischer Theaterschauspieler und Regisseur, der unter den Nazis die ganz große Karriere als Generalintendant des Preußischen Staatstheaters machte. Gleichzeitig half er Verfolgten des NS-Regimes und verhedderte sich folglich heftig im Gestrüpp der Verflechtungen von Kunst und Politik. Sein Ehrentag jedenfalls ist Anlass genug für das Balász-Kino, ihm in den kommenden zwei Wochen eine Retrospektive seiner filmischen Arbeiten zu widmen. Die Liste der Filme, die dabei zusammengekommen ist, gestaltet sich tatsächlich recht eindrucksvoll. So sind nicht nur die meisten seiner Regiearbeiten – von Komödien wie „Capriolen“ bis zur Effi- Briest-Verfilmung „Der Schritt vom Wege“ – zu sehen, sondern auch eine ganze Reihe heute eher selten gezeigter Produktionen, in denen Gründgens als Darsteller wirkte: In „Danton“ schickt er als Robespierre den von Fritz Korner verkörperten Revolutionär auf die Guillotine, und in Erich Engels Shaw-Verfilmung „Pygmalion“ brilliert er als arroganter Prof. Higgins. Natürlich gibt es auch Klassiker wie Fritz Langs „M“, in dem Gründgens mit schneidender Kälte den Vorsitzenden des Unterwelt- Feme-Gerichts spielt, das einen Kindermörder beseitigen will, weil der den reibungslosen Ablauf der kriminellen Geschäfte behindert. Ebenfalls im Programm: Peter Gorskis Verfilmung von Gründgens' „Faust“-Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus mit Gründgens in seiner Paraderolle als verführerischer Mephisto und die Premiere von Petra Haffners Dokumentation „Ich tret' aus meinem Traum heraus“. Dazu gibt es im Kino Gespräche mit Kollegen und Freunden des Meisters.
Gustaf-Gründgens-Retro ab 9.12. im Balàsz
Noch eine lobenswerte Veranstaltung: Am kommenden Sonnabend findet im Weißenseer Kino Toni eine Performance statt, bei der Robert Wienes Filmklassiker „Das Cabinet des Dr. Caligari“ mit seinen wegweisenden expressionistischen Dekors von Hermann Warm, Walter Röhrig und Walter Reimann vom RambaZamba Filmorchester musikalisch und theatralisch begleitet wird. Dass sich die Theatergruppe, die mit geistig behinderten Menschen arbeitet, für ihr Debüt einen Film ausgesucht hat, der zu einem nicht unbeträchtlichen Teil im „Irrenhaus“ spielt, ist sicherlich kein Zufall.
Das Cabinet des Dr. Caligari 11.12. im Toni
Medienpolitisch wichtig: Die Solidaritätsadresse diverser Berliner Off-Kinos mit der wegen „Verdachts des Vertriebs gewaltverherrlichender Medien“ zwangsweise geschlossenen Kreuzberger Videothek „Videodrome“. Die beteiligten Kinos spielen dabei in der kommenden Woche abwechselnd Filme, die bei der staatsanwaltlichen Aktion, mit der wieder einmal die Zensur durch die Hintertür eingeführt werden soll, beschlagnahmt wurden. Da es sich dabei größtenteils um Filmklassiker wie David Cronenbergs „Videodrome“ oder David Lynchs „Wild at Heart“ handelt, steht zu vermuten, dass die für die Schließung Verantwortlichen sich größtenteils in einem Zustand befinden, die der Titel des ebenfalls gezeigten Horrorfilms des Neuseeländers Peter Jackson so trefflich beschreibt: „Braindead“
Woche des beschlagnahmten Films abwechselnd in den Kinos Balász, Brotfabrik, Central, Eiszeit, Filmbühne am Steinplatz, Filmkunst 66 und FSK
Lars Penning
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