■ Filmstarts à la carte: Fliehen, kämpfen, untertauchen. Bilder aus der Ferne und Nähe
Nicht in Deutschland, nicht in der Türkei, sondern am Nichtort dazwischen, auf der Autobahn, spielt Bay Okans Film über einen in München lebenden Straßenkehrer auf dem Weg nach Hause. Ein besseres Bild für das doppelte Fremdsein als das Gedrängel, die Zeitnot, die Pöbeleien, die tödlichen Unfälle und die Wüste am Rande der Straße, hätte man nicht finden können. Charmant und unaufdringlich erzählt Okan seine Geschichte, ohne ein einziges Mal in die Falle der Sozialanklage zu gehen. Mercedes mon Amour ist ein Roadmovie mit umgekehrtem Vorzeichen: Bayram bricht nicht aus einem verhaßten Loch aus, sondern will genau dorthin, von wo er drei Jahre zuvor als ärmlicher Bauer aufbrach: ins staubige Nest seiner Kindheit, dort, wo, wie er glaubt, alles so ist wie immer. Der goldene Mercedes, den er sich vom Munde abgespart hat, soll ihm selbst und den anderen zeigen, daß er es endlich geschafft hat. Er, der Loser, der Hochstapler, will ihnen mit seinem Schlitten die Hütten einstauben. Kezban, die scheue Jugendliebe, wird ihm um den Hals fallen. Musik! Tanz! – Er ist ein Depp, daran zu glauben. Erschöpft nach Tagen lebensgefährlicher Überholmanöver, halluziniert Bayram am Steuer. Das deutsche Goldstück wird allmählich aufgerieben. Der Weg ins imaginierte Nachhause ist noch lang.
Auch Walter Klier hat sich mit dem Leben in einem anderen Land beschäftigt. In seinem Dokumentarfilm Out of America porträtiert er vier schwarze Ex- GIs, die in Berlin geblieben sind als die US-Army abzog. Jetzt versuchen sie sich als HipHopper durchzuschlagen. Und fühlen sich im Wedding wohler als in Brooklyn. Neues gibt es hier leider nicht zu sehen. Klier hat ein spannendes Thema verschenkt. Was der merkwürdig verklemmte Fernsehbeitrag im Kino verloren hat, ist unklar.
Lautsprecher für das islamische Morgengebet und Satellitenschüsseln für die übers Meer gesendete Abendunterhaltung aus dem christlichen Europa stehen auf den Dächern Algiers. Eines Morgens macht der Bäckergehilfe Boualem dem Geplärre des Vorbeters ein Ende: der Lautsprecher landet kurzerhand im Meer. Ob Boualem das Haberfeldtreiben überlebt, das die örtliche Fundamentalistengang daraufhin gegen ihn veranstaltet, bleibt offen. Bab- El-Oued-City zeichnet ein düsteres Bild eines Lands im Griff der Gewalt.
Wer sich den islamistischen Saubermännern nicht beugen will, hofft auf eines der Schiffe nach Frankreich, flüchtet sich in den Untergrund oder in die Gleichgültigkeit. Selbst das Filmteam, so berichtete Regisseur Merzak Allouache im taz-Interview (6. 1. 95), war während der Dreharbeiten vor Anschlägen nicht sicher.Jörg Häntzschel
Eigenartig überlappen sich hier und dort in den Videos des in New York lebenden Filmemachers Jayce Salloum. Als der gebürtige Libanese nach Kanada übersiedelte, herrschte dort Krieg. Seit Anfang der 90er Jahre versucht Salloum, die Kluft zwischen dem Fernsehlibanon und der Situation vor Ort zu dokumentieren. In dem 1993 entstandenen Film Up To The South werden südlibanesische Widerstandskämpfer interviewt. Salloum geht im Gespräch der Frage nach, warum diffizile politische Aktivitäten gegen die israelischen Besatzungstruppen von westlichen Medien generell als Terrorismus abgehandelt werden. „Der Westen wird uns nie als Opfer sehen“, erklärt einer der Beteiligten. Später tauchen die von Granateinschlägen abgenagten Fassaden Beiruts unvermittelt neben Reiseimpressionen aus einer sonnenbeschienen Natur auf. Es ist auch dieser Mythos vom nachrichtendienstlich erfaßten Krisengebiet, den der Film demontiert.hf
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