■ Filmstarts à la carte: Einer Silberstiftzeichnung nicht unähnlich
„Heimat“ hießen im deutschen Film ja oft recht laute Gefühle, die gerade wieder so recht im Kommen sind, wenn man beispielsweise mal bedenkt, daß ein Wim Wenders, der sich früher für keine Jukebox zu schade war, heute um die Siegessäule kreist. Erst neulich wieder in Edgar Reitz' auf der Berlinale vorgestellten Film Die Nacht der Regisseure hörte man, wie der deutsche Wald sein muß, in den man seine Helden zur Einkehr und zum zünftigen Brunsen und zum Raufen der armen Haare aus Verzweiflung schickt.
Das Landschaftsbild als Fingerabdruck göttlichen Wirkens war seinerseits ein Interesse des romantischen Schriftstellers Adalbert Stifter, der sozusagen in Realzeit beschrieben (und in Silberstiftzeichnungen festgehalten) hat, wie man durch diesen Abdruck läuft.
Stifters ständiger Rahmenwechsel entpuppt sich für das Filmerauge als der zwischen Close-up und Totale. Gleichzeitig verweigert sich seine spinnwebfeine Detailgenauigkeit dem emsigen Geklapper einer Handlung; sie ist, wie das Singen der Kinder im Wald, nur ein fadenscheiniger Vorhang über der Katastrophe, die Stifter eben pochen hörte. Nervenenden liegen frei.
Dagmar Knöpfel, Absolventin der Münchener Filmhochschule, war für dieses Pochen wohl ebenso empfänglich wie für die Auffältelung der Landschaft, die in Brigitta zur eigenständigen Protagonistin wird.
Die Erzählung ist im österreichisch-ungarischen Grenzgebiet angesiedelt, durch das ein junger Maler in der Mitte des 19. Jahrhunderts streift, um seinen alten Freund zu besuchen. Diesen umgibt, wie sich bald heraustellt, ein Geheimnis, halb düster, halb froh. Cherchez la femme!
Zunächst befürchtet man angesichts des mit einer temperamentvollen Haartolle heransegelnden Hauptdarstellers, es könne einem eine Pußta-Platte um die Ohren fliegen. Es ist der Regisseurin jedoch gelungen, den Sturm und Drang des jungen Mannes zu bändigen, womöglich hat das sanfte Zutzeln und Zauseln des ungarischen Windes im Grase und so weiter das Seine dazu getan.
Der Weg zu seinem Freund ist nicht Mittel zum Zweck, sondern „an end in itself“. Der Maler begegnet ruhigen, verwittert von ihren Veranden ins Land blickenden Menschen; man hört sie über knarrende Dielen gehen, man spürt Ofenwärme, man kaut ein bißchen an dem großen Brotlaib mit, von dem der Reisende zur Nacht hin zehrt.
Es dämmert, es taut, es wird abend. Beim Freund angekommen, senkt sich eine gewisse vertrauenerweckende Düsternis über die Szene, man reitet aus, Villen leuchten weiß im Dunkeln, man stattet der Nachbarin Brigitta einen Besuch ab. Der Maler hat sie schon mal gesehen, sie hatte ihm auf seltsame Weise den Weg gewiesen. Sie gehört, wie Richard Cory aus dem Lied von Simon and Garfunkel, zu den Leuten, die zwar „money, praise and style“ haben, aber dennoch nicht glücklich sind. In Rückblenden, die den Rhythmus des Films sonderbarerweise nicht stören, wird erzählt, wie sie einen Major heiratete, obwohl sie ein unscheinbares junges Ding war, und wie dieser Major ihr, nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes, davonlief, als sie zuviel von ihm wollte. Zurück in der Gegenwart spitzt die Sache sich zu, alle Geheimnisse drängt es ans Licht ...
Brigitta ist eine unabhängige, gänzlich an Originalschauplätzen gedrehte Produktion, die unter Umständen an den späten Rohmer erinnert (dessen Geburtstag jetzt wahrscheinlich viele wieder versehentlich am 21. März gefeiert haben). Sie hat nicht nur ungarische Schauspieler beschäftigt, sondern auch ungarisches Filmmaterial benutzt: Arwo heißt es und enthält so viel Silber, daß es gar keine Mühe hat, einer bleiernen Silberstiftzeichnung zu ähneln. Mariam Niroumand
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