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■ Filmstarts à la carteIn Hollywood läuten die Notrufsäulen

Auf vielfachen Wunsch einer einzelnen Person sollen hier nun doch noch einige Worte über Boys on the Side verloren werden, zu deutsch unter dem überaus hassenswerten Titel „Kaffee, Milch & Zucker“ im Berliner Filmprogramm zu sehen. Es handelt sich um ein sogenanntes Roadmovie, das ungefähr an die „Drei Schwestern“ erinnert, die ja auch eine Männerkonstruktion sind, mit der die Superwoman auf drei aufgefältelt wird. Hier sind drei Geißeln des Weiblichen, gerecht auf die Ethnien verteilt: Whoopie Goldberg ist eine Musikerin, die in New York scheitert (sie eröffnet den Film mit einem alten Janis-Joplin-Vehikel, „Piece of My Heart“) und goldgräberhaft nach Los Angeles will. Drew Barrymore ist ihr übliches blondes Selbst, ein bißchen gedreht in Richtung Monroe-Ulknudel, die an einem Junkie-Freund klebt, dem sie schließlich nonchalant eins mit dem Baseballschläger verpaßt – und tschüß! Marie Louise Parker wiederum nimmt zunächst geheimnisvoll Tabletten, kurz: Whoopie ist lesbisch, Drew ist schwanger und Marie Louise hat Aids. In Bad und WC ist alles ohje. Ein Gerichtsverfahren zerrt die Dinge ans Tageslicht, ein Männergericht natürlich. Mit dreißigjähriger Verspätung tönt nun aus Hollywood eine Frauen- Notrufsäule. „Frauen halten zusammen“ wird ebenso zum Accessoire wie „Ich esse keine toten Tiere“ oder „Es kann auch schön sein, einfach mal zusammen zu schweigen“. Letzteres ist in der Tat richtig und sollte auf Sonderpostkarten aus aller Welt an die Adresse von Whoopie Goldberg gesandt werden, der das offenbar bewußtseinsmäßig ein bißchen weggerutscht ist.

Unter dem Titel Pfui Deutschland stellen Friederike Anders, Rainer Grams und Jürgen Brüning eine Trilogie vor, in der das „Wie deutsch ist es“ von einem bislang ungeklärten, irgendwie externen Standpunkt aus geklärt wird. Es fängt an mit „Die Farbe Braun“. Wie zu erwarten, sieht man Herr und Hündchen, kleine und größere Scheißhäufchen und braun eingerahmte Bilder von Rostock – solchermaßen also auf gut Wilhelm Reichsche Art die Analität des Bösen zur Wurzel allen deutschen Übels zu erklären. Hätten Sie auch mal gemußt? Wir nicht, und gehen von daher direkt zum zweiten Teil, zu „Der Obertan“ über, der mit mehr oder weniger Genugtuung zur Kenntnis nimmt, daß ein tyrannischer Studienrat einer Haßattacke zum Opfer fällt.

Am interessantesten ist eindeutig Jürgen Brünings Er hat ne Glatze und ist Rassist, er ist schwul und ein Faschist. Man sieht zunächst, in künstlichster Beleuchtung, zwei miteinander rangelnde, Zorniges sprechende Kerle, die sich in den Mund pinkeln und die Stiefel lecken. Aus ihren schließlich glücklich erigierten Schwänzen werden zunächst Maden und später Hakenkreuze. Die Preisfrage ist nun, als was man diese Metamorphose lesen soll: Es war der schwule Sub, aus dem die Nazikultur entstand? Oder soll man die Schwänzchen in die Höh' lesen wie einen Pullover von Rosemarie Trockel, als frei flottierendes Zeichen? Wie ist zu verstehen, wenn ein Gesprächspartner Brünings sagt: Skin sein ist für mich die reinste Existenzform im schwulen Sub, alles andere ist Maskerade (oder so ähnlich)? Sachdienliche Hinweise nimmt jede taz-Filmredaktion gerne dankend entgegen.

Schande über die Oscar-Verleiher, die nicht in der Lage waren, John Travolta angemessen zu ehren. Blow Out hieß einer von Brian de Palmas schlockigsten Filmen, der mir aber trotzdem ausnehmend gut gefiel, weil Travolta nie so süß gelächelt hat wie hier, wo er eine junge Prinzessin und Politikergespielin gegen einen Ultrabrutalo zu retten versucht – und das am 4. July.

Mariam Niroumand

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