■ Filmstarts à la carte: Die Schöne und die Biester
Zu den am häufigsten verfilmten Werken der Weltliteratur zählt ohne Zweifel Der Glöckner von Notre Dame. Eine erste filmische Adaption des berühmten Romans von Victor Hugo entstand bereits im Jahre 1905, und sogar eine indische Version von 1954 wird von der Filmgeschichte verzeichnet.
Die neueste Variante läuft heute in unseren Kinos an: ein Disney-Zeichentrickfilm mit Musik und Tanz und Happy-End. „Gothic Horror light“ – ein durchaus schlüssiges Konzept mit singenden Wasserspeiern und einem putzigen Quasimodo. Pünktlich zum Start des Cartoons wurde auch William Dieterles klassische, allerdings kaum werkgetreuere Fassung des „Glöckners“ von 1939 wieder ins Programm genommen. Der Unterschied zur Disney-Version liegt vor allem in der düsteren Grundstimmung des Films: In expressiven Bildern mit starken Helldunkelkontrasten zeichnet Dieterle ein finsteres Bild des ausgehenden Mittelalters, das von Narren, Halsabschneidern und den Folterknechten einer tyrannischen Justiz beherrscht wird. Im Zentrum der Geschichte steht hier weniger der von Charles Laughton gespielte Glöckner als vielmehr die Zigeunerin Esmeralda.
Verkörpert von der damals gerade 18jährigen Maureen O'Hara, ist sie die erotische Attraktion, die fatale Leidenschaften und große Lieben auslöst und um die sich alle Männer scharen: der bigotte Richter Frollo, der eitle Hauptmann Phöbus, ein revolutionärer Poet und der unglückliche Glöckner. Die Esmeralda aus dem Hause Disney erweist sich da natürlich als ungleich familientauglicher. Der direkte Vergleich der beiden Produktionen zeigt jedoch auch, daß sich die Zeichentrickfilmer beim Klassiker freizügig „bedient“ haben.
Einzelne Einstellungen werden bis ins Detail exakt kopiert, und die Idee des finalen Rettungsschwungs, mit dem Quasimodo Esmeralda den Armen des Henkers entreißt, ist ebenfalls nicht neu. Die Wasserspeicher blieben bei Dieterle allerdings stumm.
Menschen, zu deren Hobbys das Ansehen des 3sat-Programms unter dem Einfluß psychedelischer Drogen gehört, werden sich mit dem seltsamen Film anfreunden können, den das fsk-Kino seit heute zeigt. Signers Koffer befaßt sich mit dem Wirken des Schweizer Künstlers Roman Signer, dessen Aktionen den Betrachter meist vor die Frage stellen, ob man nun lachen oder weinen soll.
Signer schießt sich mit einer Rakete die Mütze vom Kopf, oder er läßt seine Gummihose so voll Wasser laufen, bis er umkippt. Er bricht mit voller Absicht auf einem zugefrorenen Teich ein, oder er beschallt die isländische Natur mit seinem Schnarchen. Doch Signer ist nicht irgendein irrer Freak: Die meisten seiner Aktionen stehen in einer spannenden Beziehung zu den verschiedenen Landschaften – von Stromboli bis Bitterfeld. Und gelegentlich gelingen Signer auch Werke von verblüffender Qualität: So läßt er beispielsweise einen in vier Blecheimer gestellten Tisch auf einem glasklaren isländischen See treiben und stellt sich dazu vor, wie dieser bizarre Anblick zum Ausgangspunkt einer neuen nordischen Saga werden könnte.
Glücklicherweise verzichtet der Film des Dokumentaristen Peter Liechti auf einen belehrenden Kommentar; nur der Künstler selbst gibt Auskunft über Sinn und Unsinn seiner Tätigkeit. Eigentlich, so resümiert er abschließend, schäme er sich seiner Aktionen derart, daß er sie lieber ohne Publikum durchführt: „Ich verschwinde hinterher immer ganz schnell.“
Lars Penning
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