■ Filmstarts à la carte: Der Goldfisch im Cocktailglas
Inspiriert von den „Boogie Nights“ ließen die Programmgestalter des Central-Kinos erst kürzlich die siebziger Jahre mit allerlei Porno- und Trashklassikern hochleben. Nun hat man die vorangegangene Dekade entdeckt: mit Beat, Pop-art und Miniröcken anstelle von Disco, Porno und Schlaghosen. Da darf das Supergirl der Sechziger namens „Modesty Blaise“ natürlich nicht fehlen: Ihre superaufregenden Abenteuer erlebte die ebenso schöne wie reiche Teilzeitagentin und Ex-Kriminelle zunächst in den superben Comic strips von Peter O'Donnell und Jim Holdaway im Evening Standard – ehe sie im Jahr 1966 in Gestalt von Monica Vitti auch die Leinwand eroberte.
Allerdings ohne größeren Erfolg: Weder vom intellektuellen und eher etwas drögen Regisseur Joseph Losey noch von der als sensitive Neurotikerin in diversen Antonioni-Filmen bekanntgewordenen Vitti hatte man eine derart überkandidelte Agentenparodie erwartet. Mit Geheimdiensten und schicken Autos, mit den spiegelnden Oberflächen und den Pop-art-Dekors in der Art einer Bridget Riley entwirft der Film jedoch ein geradezu archetypisches Bild seiner Entstehungszeit. Allemal mehr Stil als Inhalt. Vitti trägt in jeder Szene ein neues Kleid und eine andere Frisur („Beehive“ war damals gerade chic), und der lässige Dirk Bogarde – der den Oberschurken Gabriel mit weißem Toupet und sichtbarem Vergnügen mimt – läßt in seinem gigantischen blauen Cocktail gar einen Goldfisch schwimmen.
Sinn macht das natürlich ebensowenig wie die plötzlichen Gesangseinlagen oder die abstruse Handlung – doch das Gefühl, erwachsene Menschen ständig bei ausgemachten Kindereien zu ertappen, kann ja auch ganz vergnüglich sein.
Als nicht weniger typisch für das Jahrzehnt von „Love and Peace“ erweist sich der vermutlich innovativste Zeichentrickfilm der Sechziger: Inspiriert von Paul McCartneys Kinderliedchen über ein gelbes Unterseeboot schufen Art Director Heinz Edelmann und Regisseur George Dunning mit „Yellow Submarine“ (1968) einen von der Pop- art beeinflußten Cartoon, in dem die Beatles mit ihren Songs das friedliche Pepperland von der Tyrannei der Blue Meanies (Wahlspruch: „Der Himmel ist blau und morgen die ganze Welt“) befreien. Neben der phantasievollen graphischen Umsetzung der Beatles-Musik, einer Unzahl von aberwitzigen, surrealen Einfällen und den „Auftritten“ von Ikonen der Populärkultur – von Marilyn über Frankensteins Monster (das sich dann in John Lennon verwandelt) bis zu King Kong – gerät auch hier die Handlung leicht zur Nebensache.
Der Sieg über die blauen Miesmacher mit ihren Musikabwehrraketen wird selbstverständlich mit dem unvermeidlichen „All You Need Is Love“ errungen – und ganz am Ende sprechen sogar die echten Fab Four noch ein kleines Grußwort.
Lars Penning
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