■ Filmstarts à la carte: Im Land der Illusionen
Eigentlich wollte Michael Cimino aus Salvatore Giuliano ja einen Filmhelden nach Art des Robin Hood machen. Doch dann hätte der Regisseur besser nicht die alte Pappnase Christopher Lambert als „Der Sizilianer“ besetzen sollen. In der – vermutlich unfreiwilligen – Interpretation des Mimen erscheint der Bandit in Anlehnung an das historische Vorbild nämlich mit durchaus realistischen Zügen: unerfreulich sendungsbewußt, größenwahnsinnig und skrupellos. Kurzum: Der eitle Selbstdarsteller Lambert ist in der Rolle des eitlen Selbstdarstellers Salvatore G. geradezu genial unsympathisch. Als Sympathieträger wirkt hingegen Terence Stamp: Einst im britischen Spülsteinrealismus der sechziger Jahre oftmals als ungeschliffener Arbeiterklasse-Rebell zu bewundern, verkörpert er in „Der Sizilianer“ einen angenehm phlegmatischen und stilvollen Fürsten. Meist döst er im dämmerigen Halbdunkel seines Palazzos vor sich hin, labt sich an einem guten Tropfen und hört krächzende Schellackplatten. Daß er zwischenzeitlich auch mal entführt wird, scheint ihn dabei nicht weiter zu stören: Vive la décadence.
Wir bleiben in Italien, verlegen jedoch den Schauplatz weiter nach Norden: In der Filmreihe mit Städtebildern im Zeughauskino darf natürlich auch Fellinis „Roma“ nicht fehlen.
Kein dokumentarisches Werk über die ewige Stadt, eher schon ein Spielfilm ohne Handlung, in dem die Realität allenfalls als Auslöser der Erinnerungen und Phantasien des Federico Fellini dient. Und während in den Kindheitserinnerungen des Regisseurs aus Rimini noch das „klassische“ Rom mit Dias antiker Sehenswürdigkeiten, Aufführungen von Shakespeares „Julius Caesar“ und melodramatischen Monumentalfilmen dominiert, geraten die Reminiszenzen an seine Zeit als jugendlicher Neurömer zu einer Hommage an die Sinne: Da wird jeder Restaurantbesuch zum ausufernden Gelage, und die Präsentation üppiger Prostituierter im Bordell gleicht einem Einzug der Gladiatoren in den Circus Maximus.
Überhaupt münden die Phantasien Fellinis immer wieder in theatralen Aufführungen – von den zweifelhaften Bemühungen miserabler Komiker im Varieté bis hin zu einer bizarren Modenschau: arrangiert für einen jovialen Papst, der unterdessen sonnenbrillenbewehrt am Minzlikör nippt.
Wie wenig sich Fellini für Realismus interessiert, zeigt eine Sequenz, für die er in Cinecittà einige hundert Meter römische Stadtautobahn nachbauen ließ: Auf der kurzen Fahrt zum Colosseum durchquert die Kamera eine infernalische Kulisse mit Rauch und Regen, Donner und Hupen, brennenden Lastwagen und schimpfenden Menschen – als ob die Einfahrt nach Rom dem Eingang zur Hölle gleiche.
Gegen Ende des Films spricht ein amerikanischer Schriftsteller Fellinis Credo offen aus: „Rom ist die Stadt der Illusionen. Es ist kein Zufall, daß sie die Stadt der Regierung, der Kirche, des Films ist. Sie alle produzieren Illusionen.“
Lars Penning
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