Filmstarts à la carte: Opferwillig
■ Es war das teuerste und aufwändigste Werk der deutschen Filmgeschichte: mit Kosten von über achteinhalb Millionen Reichsmark, fast 190.000 Wehrmachtssoldaten als Komparsen für die Schlachtszenen und an die zehntausend benötigten Kostümen. Und das alles im Dienste der NS-Kriegspropaganda: 1943 beauftragte Joseph Goebbels seinen Paraderegisseur Veit Harlan mit der Herstellung des Durchhaltefilms „Kolberg“, der am Beispiel unbeugsamer Bürger in der von napoleonischen Truppen belagerten Festungsstadt die Idee des so genannten Volkssturmes beflügeln sollte. Folglich skandieren die Statisten zur Marschmusik von Norbert Schultze „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los!“, derweil General Gneisenau (Horst Caspar) dem widerspenstigen König mit pathetischem Geschwafel die Idee eines Bürgerheeres einreden will. Hauptsächlich aber wird einmal mehr die Opferbereitschaft des Volkes beschworen: So hat Maria (Kristina Söderbaum) am Ende einfach alles verloren (mit Ausnahme ihres Glaubens an die gute, gerechte Sache natürlich): den geliebten Mann, den Vater, den Bruder sowie Haus und Hof, die zuvor vom Vater zerstört worden waren, weil das Gehöft den anrückenden Franzosen Schutz hätte bieten können. „Genutzt“ hat der - durch massive Eingriffe des Propagandaministeriums merkwürdig kastriert und statisch wirkende - Film dann gar nichts mehr: Als „Kolberg“ am 30. Januar 1945 in der belagerten Atlantik-Festung La Rochelle und in Berlin zur Uraufführung gelangte, gab es im zerbombten Deutschland kaum noch Kinos, die das Propagandawerk hätten zeigen können.
„Kolberg“, 24.10. im Arsenal
■ Dass man auch aus einer altmodischen Bühnenfarce einen modernen Stummfilm machen konnte, bewies René Clair 1927 mit „Un chapeau de paille d‘Italie“. Die Komödie um den Bräutigam, der kurz vor der Hochzeit Ersatz für einen von seinem Pferd angeknabberten Strohhut beschaffen soll, erinnert in seiner Machart an die Filme, die der Komiker Charley Chase zur gleichen Zeit in den USA drehte: mit einem ironischen Blick auf die Spießigkeiten des Bürgertums und - Tür auf, Tür zu - Ketten von peinlichen Ereignissen, die ungeheure Ausmaße annehmen und sich langsam ins Groteske steigern.
„Ein italienischer Strohut“ 25.10., im Filmmuseum Potsdam
■ Eineinhalb Stunden muss die junge Sängerin (Corinne Marchand) in „Clèo de 5 à 7“ warten, ehe sie von ihrem Arzt das Ergebnis einer Gewebeuntersuchung erfahren kann. Eine Zeitspanne, in der Regisseurin Agnès Varda die Heldin und ihre Begegnungen mit verschiedenen Menschen in Paris nahezu in Realzeit verfolgt: von der Wahrsagerin bis zur Diagnose des Arztes im Krankenhaus. Dabei verändert die Angst vor dem Krebs den Blick der jungen Frau auf sich selbst und auf ihre privaten und beruflichen Beziehungen. Anfangs erscheint Cléo als ein oberflächliches, kapriziöses Geschöpf: Der Spiegel bestätigt ihr die eigene Schönheit, sie genießt die Bewunderung der anderen Menschen und neigt - mit Perücke und neu erstandenem Hütchen - zu Verkleidungen. Zudem ist sie gefangen im Aberglauben: Überall scheinen Symbole des Todes auf sie zu lauern. Erst die Begegnung mit einem jungen Soldaten, der am nächsten Tag zum Militärdienst nach Algerien abreisen muss, lässt Cléo nüchterner und unverstellter auf die Welt blicken. Bei alledem ist Vardas Film auch ein kleines Roadmovie in Paris: Flanieren auf den Boulevards und im Park, längere Taxi- und Busfahrten zum Appartement und zum Hospital - Cléos Reise zur Selbsterkenntnis beschreibt in der Geographie von Paris eine Art Halbkreis, in dessen Scheitelpunkt mit dem Parc de Montsouris der Ort des entscheidenen Zusammentreffens mit dem Soldaten Antoine steht.
„Cléo de 5 à 7“ (Mittwoch von 5 bis 7) (OmenglU), 22.10. im Arsenal
Lars Penning
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