Filmstarts à la carte: Gestrandete Existenzen
■ Die Anekdote wurde bereits so oft erzählt, dass man sie kaum noch erwähnen möchte - wenn sie nicht ein wichtiges Charakteristikum eines ganzen Filmstils wiedergeben würde. Und so sei‘s drum: Als Humphrey Bogart und Regisseur Howard Hawks inmitten der Dreharbeiten zu „The Big Sleep“ plötzlich nicht mehr wussten, wer eigentlich den Chauffeur ermordet hatte, befragten sie Raymond Chandler, der sich die Geschichte ja ausgedacht hatte. Doch auch Chandler bekundete absolutes Nichtwissen ... Labyrinthische Handlungen und die von harten Kontrasten geprägte Low-Key-Fotografie drückten als prägende Stilmittel des Film noir den Zeitgeist einer Welt aus, die im und durch den 2. Weltkrieg reichlich durcheinander geraten war. Hatten die früheren Gangstergeschichten meist eine pervertierte Variante des amerikanischen Traums erzählt (ein Mann will nach oben), so befanden sich die Protagonisten des Film noir von Beginn an auf der Verliererstraße. Die Coups wurden schäbig und die Romanzen unmöglich. Die Vergangenheit der Figuren war schattig, eine Zukunft gab es nicht. Mord, Erpressung, Drogen, Pornographie, Lügen und Intrigen - mit einem gerütteltem Maß an Zynismus schlägt sich Bogart als hartgesottener Detektiv Marlowe in „The Big Sleep“ durch den ganzen Sumpf menschlicher Gemein- und Schwachheiten. Dabei begegnet ihm nicht nur ein ganzes Panoptikum an gestrandeten Existenzen, sondern auch die schöne Lauren Bacall, mit der Bogie ja wenigstens privat eine Zukunft hatte.
„The Big Sleep“ 23./ 26.12. im Arsena
■ Noch ein wenig Weihnachten gefällig? Vielleicht mit Michael Caine und den Muppets? Die spielen in Brian Hensons „Muppets-Weihnachts-Geschichte“ ihre charmante Puppen-Version von Charles Dickens „A Christmas Carol“: Während Miss Piggy und Kermit mit ihren vielen Kindern in furchtbarem Elend leben müssen, will der reiche und geizige Scrooge (Caine) nicht einmal zu Weihnachten auch nur einen Taler für seinen braven Mitarbeiter herausrücken. Bis ihm einige Geister die Auswirkungen seiner Hartherzigkeit vor Augen führen ... Als Vergleich bietet sich da natürlich eine der vielen Realverfilmungen des Stoffes an: Als beste - wohl auch wegen der schönen Dekors - gilt allgemein Brian Desmond Hursts „Scrooge“, eine britische Produktion aus dem Jahr 1951. Die Story auf den Kopf stellt Frank Capras Weihnachtsklassiker „Ist das Leben nicht schön?“: Hier möchte sich der lebensmüde George Bailey (James Stewart) entleiben, wird jedoch von einem Engel daran gehindert, der ihm zeigt, wieviel Gutes er doch in seinem Leben getan hat und wie traurig die Welt ausähe, hätte es ihn nicht gegeben. Capras Kleinstadt-Sozialfantasie gehört zu den typischsten und besten Werken des Regisseurs: bittersüß, unverhohlen sentimental und sehr amerikanisch.
,Die Muppets-Weihnachts-Geschichte“ 21.-23.12., 25.-27.12. im Sojus; „Scrooge“ (OF) 23./26.12. im Arsenal. „Ist das Leben nicht schön?“ 20.-23.12. im Filmmuseum Potsdam
■ Aus heutiger Sicht nicht unbedingt ein Meisterwerk, aber eben doch ein Meilenstein in der Geschichte des Kinos: Alan Croslands „The Jazz Singer“, jener Film, der die Ära des Tons einläutete. Nachdem Al Jolson seiner Film-Mutter ein Liedchen am Piano vorgetragen hatte, und man ihn dabei auch wirklich hatte hören können, war die Filmwelt aus den Angeln gehoben: Von nun an kam keine neue Produktion mehr ohne diese neueste Errungenschaft der Technik aus. Bereits fertig gestellte Stummfilme wurden noch einmal als Tonfilme neu begonnen oder doch wenigstens nachvertont, und natürlich musste nun überall gesungen werden - egal ob es zur Handlung passte oder nicht. Und eines muss man „The Jazz Singer“ lassen: In der Geschichte um den Sohn eines jüdischen Kantors, der sich der leichten Muse verschreibt, was seinen strengen Vater hochgradig verärgert, passte es wenigstens noch.
„The Jazz Singer“ (OF) 22.12. im Arsenal
Lars Penning
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