Filmemacher Makhmalbaf über den Iran: "Die Zukunft wird sehr blutig sein"
Filmregisseur Mohsen Makhmalbaf hat die Vorgänge in Teheran genau beobachtet und fühlt sich den Demonstranten im Iran eng verbunden. Makhmalbaf unterstützt die Opposition um Mir Hossein Mussawi.
taz: Herr Makhmalbaf, wie beschreiben Sie die Stimmung in Teheran?
Mohsen Makhmalbaf: Die Leute haben einen außerordentlichen Mut. Sie haben keine Angst mehr. Das ist wie vor 30 Jahren.
Erleben wir nach 1979 nun eine neue Revolution im Iran?
Der iranische Filmemacher Mohsen Makhmalbaf (52) lebt seit einigen Wochen in Paris. Er versteht sich als ein Sprecher der Demonstranten im Iran. Im Wahlkampf hat er mit 800 anderen iranischen KünstlerInnen einen Appell zugunsten von Mussawi veröffentlicht. Nach den Wahlen erklärte Makhmalbaf: "Vorher hatten wir 80 Prozent Diktatur und 20 Prozent Demokratie. Heute haben wir 100 Prozent Diktatur."
Er hat viele Filme gedreht (darunter "Kandahar") und ist Autor von 17 Büchern. Als 17-jähriger politischer Aktivist gegen den Schah kam Makhmalbaf ins Gefängnis. 1979 beteiligte er sich an der Revolution. 2004 verließ er den Iran aus Protest gegen die Zensur. Seine Töchter Samira und Hana sind ebenfalls Filmemacherinnen. Samira Makhmalbaf hat 2000 in Cannes den Prix du Jury für ihren Film "Takhte Siah" ("Schwarze Tafeln") bekommen.
Vorerst sprechen wir von Evolution. Die Demonstranten werden getötet. Erschossen. Aber sie schießen nicht zurück. Sie werden verhaftet. Aber sie rächen sich nicht auf gewalttätige Art. Wenn sie anfangen würden, Häuser anzuzünden, Banken auszurauben und Soldaten zu töten - dann wäre das die Revolution. Im Augenblick versuchen Mussawi und viele andere aber, die Situation kontrollierbar zu halten.
Ist das Modell der Islamischen Republik gescheitert?
Meine Generation ist unter dem Schah groß geworden. Ich kam mit 17 Jahren in den 70er-Jahren für vier Jahre ins Gefängnis. Zwei Monate vor der Revolution kam ich frei, weil der König Angst hatte. Wir sind unter dem Schah-Regime religiös geworden. Als Reaktion auf ihn. Aber die junge Generation ist unter dem islamischen Regime groß geworden. Sie ist nicht religiös. Ihnen geht es überhaupt nicht um Religion. Sie suchen Freiheit, Demokratie, Liberalismus. Die Farbe, die sie benutzen, ist grün.
Grün hat im Islam aber auch eine religiöse Bedeutung?
Wenn Sie so wollen, dann hat Rot auch eine Bedeutung. Es ist das Blut der Märtyrer. Mussawi und seine Frau sind Künstler. Maler. Er macht surrealistische Bilder. Keine religiösen. Er war in den letzten 20 Jahren weit weg von Politik und hat gemalt. Mit Grün will die junge Generation der Welt zeigen, dass sie Frieden will. Dass sie das terroristische Bild des Iran loswerden will. Vor 30 Jahren haben wir die Revolution gemacht. Und wir bedauern es.
Sie bedauern die Revolution?
Ja. Weil wir nichts erreicht haben. Wir wollten Freiheit und Demokratie. Aber wir haben eine Diktatur bekommen. Vor zwölf Jahren haben wir eine Evolution gemacht, um mehr Freiheit zu bekommen. Vergeblich. Der Präsident war damals Chatami, aber die komplette Macht befand sich in der Hand von Chamenei. Vor vier Jahren haben die Leute gesagt: Wir gehen nicht wählen. So wurde Ahmadinedschad von einer Minderheit zum Präsidenten gewählt. Und es wurde noch schlimmer. Dieses Mal haben alle entschieden, zu wählen. Die Antwort ist ein Staatsstreich.
Was sind die Hauptargumente gegen Ahmadinedschad?
Die Leute hassen ihn zuerst wegen der ökonomische Situation im Land. Es kam viermal so viel Erdölgeld ins Land als in der Ära Chatami. Und das Resultat? Die Inflation hat sich verdoppelt. Der zweite Grund: Die individuelle Freiheit ist noch weiter reduziert worden. Jungs und Mädchen werden auf der Straße verhaftet und geschlagen. Der dritte Grund ist das Bild, das er von unserer Nation geschaffen hat: Terroristen mit Atombombe.
Würde Mussawi das Atomprogramm stoppen?
Wenn Mussawi an die Macht kommt, würde zuerst die ökonomische Situation besser. Als er Premierminister war, befand sich das Land im Krieg, und es gab eine Menge Druck auf den Iran. Aber die Situation war besser als heute. Was das Atomprogramm betrifft: Der Teil, der unser Land aggressiv erscheinen lässt, würde nicht fortgesetzt. Aber auf das, was sich in der Hand von Chamenei befindet, haben wir keinen Einfluss.
Was würde aus der Theokratie, wenn Mussawi an die Macht käme?
Die Bewegung geht inzwischen weit über Mussawi hinaus. Er ist ein Symbol für Mindestveränderungen. Aber nach der Gewalt im Iran wollen die Leute jetzt mehr. Wir hoffen, dass die Welt uns hilft, damit wir Chamenei absetzen können.
Wollen Sie die Person oder das Regime wechseln?
Das Regime. Wenn Chamenei geht, wird das Regime ein anderes. Der Iran ist ein reiches Land.
Chamenei verteidigt heute also nicht nur Ahmadinedschad, sondern auch sich selbst?
Seit Freitag richtet sich die Bewegung zunehmend gegen Chamenei. Er hat kein religiöses Prestige mehr. In den Augen der Leute ist er ein Diktator. Das ist der historische Punkt, an dem wir die Gelegenheit haben zu bekommen, was wir wollen. Chamenei kontrolliert die Armee, die Medien, die Einnahmen aus dem Erdöl, die Außenpolitik. Aber gleichzeitig hatten wir in den letzten 30 Jahren ein bisschen Demokratie. Zum Beispiel konnten wir jemanden wie Chatami wählen. Oder wir konnten für jemanden wie Mussawi stimmen. Selbst wenn sie andere Kandidaten ausgesiebt haben. Aber am letzten Freitag hat Chamenei dem Volk sein wahres Gesicht gezeigt.
Bis letzten Freitag kannte das niemand?
Er wirkte im Hintergrund. Er kontrollierte und glich aus. Wie ein Vater. Aber seit letzten Freitag haben die Leute verstanden, dass Ahmadinedschad nur ein kleiner Sprecher von Chamenei ist. Und dass alles, was in den letzten Jahren im Iran passiert ist, auf Chamenei basiert. Seit Freitag steht das iranische Volk dem Hauptdiktator Chamenei gegenüber. Erstmals erschallt der Ruf: "Nieder mit Chamenei!".
Hat Chamenei der Opposition den Krieg erklärt?
Er hat deutlich gemacht, dass er kämpfen will und fest zu Ahmadinedschad steht. Er hat gesagt: Wenn ihr ohne Genehmigung demonstriert, werde ich euch meine Reaktion zeigen. Das bedeutet: Polizei, Gewehre und Blutvergießen. Ein Krieg. Ein Bürgerkrieg.
Er hat den paramilitärischen Milizen freie Hand gegeben.
Nicht nur das. Ich habe Anrufe von Leuten aus Teheran bekommen, die sagen, dass man in den Straßen auch arabische Männer sieht. Sie verhüllen ihre Gesichter. Kontrollieren die Moscheen. Nehmen junge Leute gefangen. Und geben sie an die Milizen weiter. Das würde bedeuten, dass sie in Teheran auch Araber benutzen, um die Leute zu attackieren.
Stehen Soldaten und Pasadaran noch fest hinter dem Regime?
Am Anfang taten sie das. Aber es wird schwieriger, wenn sie ihre Brüder auf der Straße umbringen sollen.
Wie groß ist der religiöse Rückhalt von Chamenei?
Im Iran geht es nicht um religiöse Kräfte oder um Religion. Es geht um eine politische Frage. Chamenei benutzt die Religion, wie früher der iranische König. Aber die Leute sehen, dass er ein Lügner ist.
Sie vergleichen Chamenei mit dem Schah?
Er ist in einer ähnlichen Situation wie der Schah. Er nennt sich nur anders und hat mehr Macht, als der Schah jemals hatte.
Wie wird Ahmadinedschad jetzt weiter agieren?
Die Iraner mögen ihn nicht. Die Machthaber haben Angst. Das macht sie aggressiv.
Richtet sich die Aggressivität auch nach außen?
Klar. Die Machthaber sind wie eine verletzte Schlange.
Was erwarten Sie vom Ausland?
In den letzten Jahren wollte die Welt, dass sich die Dinge im Iran ändern. Aber die Leute im Iran haben sich nicht getraut. Jetzt sind die Iraner auf der Straße, und die Welt beschränkt sich darauf zu beobachten. Dabei ist dies die beste Gelegenheit für einen Wechsel. Der ideale Moment, den auch die Iraner verstehen. Wenn die Welt wartet und zuguckt, wie die Leute sterben, werden wir viel Zeit verlieren. Und Ahmadinedschad und Chamenei werden sich immer weiter in Richtung "Hitler des Nahen Ostens" entwickeln.
Wie kann Unterstützung aus dem Ausland konkret aussehen?
Die Welt sollte niemanden unterstützen, der mit einem Staatsstreich an der Macht gekommen ist. Sie sollte Ahmadinedschad als Präsidenten nicht anerkennen. Die Menschen, die friedlich demonstrieren, zeigen, dass sie für jemand anderen gestimmt haben. Die Welt sollte darauf bestehen, dass die Iraner neu wählen können. Unter internationaler Kontrolle.
Was halten Sie vom Boykott gegen den Iran?
Die internationale Gemeinschaft sollte den Iran boykottieren. Ökonomisch und politisch. Das Regime ist nicht nur gefährlich für das iranische Volk. Es bedroht auch die Welt mit der Atombombe.
Welchen Ausweg aus dem Konflikt gibt es? Ist ein Kompromiss zwischen Ahmadinedschad und Mussawi möglich?
Nein. Seit dem Freitagsgebet von Chamenei ist klar, dass sich die Lage im Iran zu jedem Zeitpunkt gewalttätig zuspitzen kann. Und sie tut es schon jetzt, wie die letzten Tage zeigten. Ich sehe zwei Möglichkeiten, den Konflikt zu beenden: entweder Druck von außen, oder, falls die Gewalt gegen die Demonstranten andauert, die Leute werden sich revolutionären Dingen zuwenden. Die Zukunft des Iran wird dann sehr blutig sein.
Mussawi ist bereit, ein "Märtyrer" zu werden. Welchen Sinn soll das haben?
Bislang waren unsere Leader sehr ängstliche Leute. Zu ängstlich. Seine Botschaft ist: Wir sind hier für euch. Wir töten niemanden. Aber wir lassen uns nicht einschüchtern und sind bereit zu sterben.
Ist das auch eine religiöse Botschaft?
Diese Ankündigung ist ideologisch. Sie hat auch eine religiöse Bedeutung. Aber vor allem ist sie politisch gemeint.
Was würde aus der Protestbewegung, wenn es Mussawi nicht mehr gäbe?
Mussawi kann sich derzeit kaum noch äußern. Die Geheimpolizei kontrolliert seine Büros. Und es existiert die Möglichkeit, dass sie Mussawi verhaften oder töten. Aber die junge Generation würde umso stärker weitermachen.
Wie kann man nach 1979 sicher sein, mit Mussawi nicht wieder den Falschen zu unterstützen?
Wie soll sich eine Bewegung herausbilden, ohne dass sie von jemandem angeführt wird? Wir hatten nur die Wahl zwischen den vier Kandidaten, die die Regierung zugelassen hat. Mussawi hat bis heute eine Menge geleistet. Er hat vielen die Augen geöffnet und hilft der Bewegung im Iran. Aber diese Leute werden weitergehen. Mussawi ist ihr Symbol, nicht ihr Idol. Ich halte ihn für sehr viel besser als Ahmadinedschad, den Diktator. Mussawi ist ein Evolutionär. Vor allen Dingen aber setze ich auf das Volk und seinen Willen.
Wie stark ist der Antisemitismus, an den Ahmadinedschad appelliert, in der iranischen Gesellschaft?
Die Leute im Iran wollen ein gutes Leben, wollen Frieden und nicht ein anderes Land von der Erdoberfläche löschen. Ich war vor drei Monaten in Polen, in Auschwitz. Ich war schockiert. Und ich habe entschieden, dass ich einen Film über Auschwitz drehe. Den werde ich Ahmadinedschad mit der Post zuschicken. Damit er sehen kann, was in Auschwitz passiert ist. Ahmadinedschad geht es nicht um die Juden. Er will einen Krieg zwischen sich und den USA. Und den will er stellvertretend in Israel und Palästina austragen, Irak oder Afghanistan. Er will Amerika attackieren, ohne direkt seine Unterschrift darunter zu setzen.
Obama sucht nun den Dialog mit Ahmadinedschad?
In dieser Situation wäre es ein Fehler, das zu tun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld