Filmemacher Klaus Lemke: "51 Prozent für Hamburg"
Klaus Lemke lebt in München und arbeitet oft in Hamburg. Über die Unterschiede der Städte und warum er dem HSV die Daumen drückt, spricht der Filmemacher im taz-Interview.
taz: Herr Lemke, was ist der Unterschied zwischen Hamburg und München?
Klaus Lemke: Das ist die Frage? Passen Sie auf, da hab ich einen wirklichen Knaller. Es geht um den Unterschied zwischen einer Großstadt und einer Residenzstadt. Der Unterschied: in einer Großstadt kriegt man nur das, was man sich nimmt. In einer kleineren Stadt weiß man nie genau, ob man den Fuß in der Tür oder den Kopf in der Schlinge hat.
Und das ist in München das Problem?
Der Low-Budget-Filmer arbeitet mit Laiendarstellern, die er auf der Straße engagiert. Wichtig sind für Lemke seine "Mädchen", er hat unter anderem Iris Berben und Dolly Dollar entdeckt. Lemke lebt in München und dreht vorwiegend in Hamburg. Seine Filme verkauft er ans Fernsehen, jeder Beteiligte bekommt pro Tag 50 Euro. Sein letzter Film "Dancing with Devils" ist für den Norddeutschen Filmpreis nominiert.
Das ist das Problem. Hamburg ist eine calvinistische Stadt, München ist ein barocke Stadt. In München weiß man nie, ob der liebe Gott einem aufs Maul haut oder einen Fuß stellt, total barock. Aber Hamburg ist so wie New York, man kriegt nur was man nimmt, nicht was man verdient.
Sie leben in München und drehen sehr oft in Hamburg. Warum?
Hamburg ist für mich eine Stadt, wo auf der Erde das Gute und das Böse ausgemacht wird. Wenn man auf der Erde das Paradies nicht kriegt: Den Himmel gibts nicht. Und wenn man die Hölle verdient hat, kriegt man die auf der Erde, nicht später mal. Hamburg ist mehr diesseits bezogen, dramatischer. Hamburg ist Drama, während München Komödie ist, eine göttliche Komödie allerdings, wo dir am Schluss vergeben wird. In Hamburg wird dir nicht vergeben. Das macht die Filme natürlich härter.
Aber die Reeperbahn wird ja auch glatter, da gibt es ein Waffen- und Flaschenverbot, und es werden neue gläserne Hochhäuser gebaut.
Aber es ist dieselbe Reeperbahn, es sieht immer noch so aus wie Brooklyn, es ist dasselbe Rückzugsgebiet für alle, die aus dem Knast kommen, die keine Heimat haben, so wie früher die Pestkranken.
Ihr neuer Film spielt wieder in München und ist ein "haischwarzer Schwabing-Porno"…
Eine wirklich süße Formulierung ist das. "Mit fiebrig-schäbiger Eleganz", "ein kleiner, haischwarzer Schwabing-Porno". Und das ist es auch. Ein Typ, neun Mädchen. Der Typ ist Hamburger und zwanzig Jahre alt.
Und der geht dann runter und scheitert an einer Münchnerin?
Nein, überhaupt nicht. Der scheitert überhaupt gar nicht. Also der Hamburger in seiner Unschuld, in seiner 20-jährigen Unschuld, der fickt München nieder. Erst hat er Hamburg niedergefickt, dann kommt er nach München, alle lassen sich sehr gut bedienen von dem jungen Mann, aber nicht mehr, also Vorzeigen lieber nicht, so geht der Film. Und man denkt, dass der in München untergeht. Nichts! Der kommt auch über die Münchner hinweg, der kleine Hamburger, und hat sein Happy End.
Gucken Sie das Fußballspiel am Samstag an?
Aber logisch. Ich bin selbstverständlich total zerrissen, aber: 51 Prozent für Hamburg.
Warum?
Ich finde, die Hamburger haben es mehr verdient. Die Krisen, die die Hamburger hatten im letzten Jahr, die ich miterlebt habe, waren immer viel tiefer als die paar Klinsmann-Krisen, die ich hier so miterlebt habe.
In Hamburg geht es immer um die Existenz.
Genau. Hier geht es nie um die Existenz, nie. Nicht einmal. Und deswegen ist dieses eine Prozent mehr für Hamburg. Die Hamburger haben mehr auf die Fresse gekriegt als die Münchner, und das sind die Leute, die ich mag. Übrigens, wenn Sie mal nach München kommen …
Ja?
Da hätte ich einen Tipp für Sie. Wenn Sie aufs Oktoberfest gehen, das ist was vollkommen anderes als der Dom. Das ist wirklich ansteckend, das ist so ansteckend, wie wenn man in Hamburg an der Elbe spazieren geht. Da kriegt man einen Flash, plötzlich ahnt man, was das Meer ist und die Schiffe und die U-Boote, und diese ganzen deutschen Kaiser, man ahnt Geschichte. Wenn du auf das Oktoberfest gehst, kriegst du den Himmel nirgends perfekter vorgespielt als dort. Es ist eine abgefeimte …
Das ist die Hölle.
Das ist die Hölle, das kostet ein Vermögen. Alle Mädchen laufen im Dirndl rum, Dirndl heißt oben eng geschnürt, Titten raus. Alle sehen geil aus. Das ist München.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl