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Film und Rezession"Die Filmförderung ist eher reaktiv"

Der Umbau der Hollywood-Industrie in eine Copyright-Industrie hat Auswirkungen darauf, wie Film in Zukunft zu sehen sein wird, sagt der Filmwissenschaftler Rembert Hüser.

Filmfestival in Cannes: Die Filmindustrie finanziert sich zunehmend über DVDs. Bild: ap
Cristina Nord
Cristina Nord
Interview von Cristina Nord und Cristina Nord

taz: Herr Hüser, beim Filmfestival von Cannes wurden Befürchtungen laut, der Filmmarkt könne einbrechen. Weltvertriebe und Produktionsfirmen klagten über mangelndes Interesse an ihren Produkten. Inwiefern beeinträchtigt die Wirtschaftskrise die Filmindustrie?

Rembert Hüser: Es gibt ja schon seit Jahren eine Verschiebung. Die heutige Filmindustrie finanziert sich nicht mehr primär übers Kinogeschäft, sondern über die DVD-Auswertung. Der Umbau der Hollywood-Industrie in eine Copyright-Industrie hat Auswirkungen darauf, wie Film in Zukunft zu sehen sein wird. Das bewegte Bild materialisiert sich nicht mehr hauptsächlich im Kino.

Die Krise betrifft die Kinos als Abspielorte und nicht die Produktion bewegter Bilder?

Es ist eine paradoxe Situation. In Hollywood hatten Filme nur eine Laufzeit von ein paar Jahren - von der Erstveröffentlichung über den second run bis zur Fernsehauswertung. Die Kopien wurden dann vernichtet. Durch Einführung der DVD, die als Speichermedium gar nicht so solide ist, ist die Lebensspanne der Filme größer geworden. Das bedeutet auch, dass es eine neue Vorstellung von Aktualität gibt - ein aktueller Film kann heute aus dem Jahr 1919 stammen. Der Film, der uns momentan am meisten über die Krise erzählt, muss nicht von Petzold, er kann auch von Lubitsch sein.

Die über 100 Jahre alte Kunst- und Kulturform Kino schaut also nicht ihrem Ende entgegen, sie sucht sich nur neue Medien und Ausdrucksformen?

Das Kino ist ein historisches Phänomen. Die Zukunft der bewegten Bilder findet an anderen Orten als dem Kino statt. Zugleich kommt es im Augenblick zu Rückkopplungseffekten: Wie Bilder im Internet und im Computer aussehen, wirkt darauf zurück, wie die Filme strukturiert sind, die in den Kinos laufen.

In Deutschland wird Kino mit Hilfe der staatlichen Filmförderung auf recht traditionelle Weise produziert. Hat dieses Subventionskino auf Dauer Bestand?

Ich habe den Eindruck, dass man bis heute kein richtiges System gefunden hat zu entscheiden, was man fördert. Die Filmförderung ist eher reaktiv, sie versucht, viel Geld in internationale Prestigeobjekte zu pumpen. Dafür bin ich wahrscheinlich zu old school im Sinne von Alexander Kluge: Blockbuster sind wichtig, genauso auch Filme, die nur zwei Zuschauer haben. In beides muss man ganz viel Geld reinstecken. Das Schlimme ist, dass das ganze Geld in den mediokren Mittelteil geht, der niemanden interessiert. Und das weiß man vorher.

Eines dieser internationalen Prestigeobjekte hat in diesem Jahr die Berlinale eröffnet, "The International" von Tom Tykwer. Dieter Kosslick hat immer wieder betont, dass "The International" der Film zur Bankenkrise sei. Was halten Sie davon?

Das ist eine altertümliche Auffassung von Film, eine Auffassung, die zu sehr der Idee der Einheit des Werkes geschuldet ist. Es kommt nicht darauf an, den einen Filmemacher zu finden, der uns den Film zur Krise liefert. Tykwer in Ehren - aber zu glauben, dass wir den einen Film brauchen, das eine Werk, das die Komplexität der gesamten Situation abbildet, ist hoffnungslos romantisch.

Im Herbst kam die Dokumentation "Lets Make Money" von Erwin Wagenhofer ins Kino; ein Film, der vor der Finanzkrise entstand und dem rückwirkend eine prophetische Kraft zugeschrieben wurde.

Es ist kruder Realismus zu glauben, dass nur die Filme aus dem Jahr 2009 adäquat die momentane Situation wiedergeben können. Es gibt inzwischen ganz andere Möglichkeiten des Zugriffs auf den Kino-Bilder-Pool. Aktuell wichtige Filme sind nicht nur die, die gerade produziert werden, sondern die, die aktuell gesehen werden.

Das stellen Sie ja deutlich heraus, indem Sie die Tagung mit einem Film von Ernst Lubitsch, "Die Austernprinzessin", beginnen lassen. Warum?

Lubitsch ist interessant, weil er, um einen Begriff von Enno Patalas zu verwenden, "Inflationskino" machte. Zwischen 1918 und 1922, dem Jahr, in dem er nach Hollywood ging, hat er unglaublich viele Filme gedreht. Die Filme amortisierten sich relativ schnell durch Vorführungen in der Schweiz und in Frankreich, während gleichzeitig die Reichsmark entwertet wurde. Dazu zeigten sie den Zerfall von anerkannten Werten, und zwar in einem irrwitzigen Tempo. Zwölf Filme in nur fünf Jahren. Feinster Exzess.

In der aktuellen Diskussion der Krise geht es um Phänomene, die sehr abstrakt sind und sich der Vorstellungskraft eines Nichtwirtschaftswissenschaftlers entziehen. Wie bringt man das trotzdem auf die Leinwand?

Zum Beispiel so wie Robert Bramkamp. Der arbeitet seit den Achtzigerjahren an diesen Fragen. Der Kurzfilm "Beckerbillet" von 1992 ist für mich ein Knaller. Er ist ein bisschen wie "Die Sendung mit der Maus" und beschreibt die Herstellung der Kinoeintrittskarten durch die Firma Becker. Die sind ja ein Geldäquivalent und werden entsprechend hergestellt. Man kauft die Karte, man bekommt gewissermaßen einen anderen Geldschein, und als Gegenwert für das Abreißen der Karte wird einem das Ereignis des Films versprochen. Daran hängt Bramkamp eine Spielfilmgeschichte auf. Aus der heutigen Perspektive ist das gerade interessant, weil es die Rollenkarten nicht mehr gibt. An der Kinokasse druckt heute der Computer. Und "Gelbe Sorte" …

der erste abendfüllende Spielfilm Bramkamps, entstanden Mitte der Achtzigerjahre.

"Gelbe Sorte" ist ein Landwirtschaftsfilm, bei dem es um die Nichtproduktion von Überschüssen geht und darum, dass die Bauern eigentlich gar nicht mehr das produzieren müssen, wofür sie EU-Subventionen kriegen. Der Film handelt von der Simulation von Produktion - und das schon in den Achtzigerjahren! Der war seiner Zeit weit voraus. Mit "Der Bootgott vom Seesportclub", dem jüngsten Film von Bramkamp, wird deutlich, dass die Auseinandersetzung mit Ökonomie viel mit Erzählmodellen zu tun hat.

Wie meinen Sie das?

Was ja viel diskutiert wird, ist die fiktive Basis von Ökonomie. Das heißt: Banken- und Finanzgeschäfte haben wenig zu tun mit realen Transaktionen. Banken handeln mit Zahlungsversprechen. Das beobachtet Harun Farocki in "Nicht ohne Risiko": dass es eigentlich um einen Abgleich von Fiktionen geht, der fast etwas von einer screwball comedy hat. Zwei Parteien kämpfen mit Fiktionen, sie brauchen Kompetenz im Entwickeln und Präsentieren von Fiktionen, und irgendwann kippt diese Kommunikation ins Komische.

Lässt sich Geld gut filmen?

Prinzipiell lässt sich alles gut filmen. Man muss die Zirkulation des Geldes zeigen und auch, welche verschiedenen Erzählmodelle sich daran anlagern. Es gibt ja zu verschiedenen Zeiten verschiedene Modelle, über Geld zu reden: die Depressionsfilme von King Vidor oder Frank Capra oder eben die Komödien von Lubitsch …

oder die Filme der Brüder Dardenne, in denen unentwegt Geldscheine von einer Hand in die andere wechseln und in denen alles, was verfügbar ist, zu Geld gemacht werden kann - und sei es das eigene Kind.

Absolut. Oder Bresson: In "Largent" sieht man, wie dieses Versprechen Geld zirkuliert. In dem Fall auch noch Falschgeld, das letztlich nicht einlösbare Zahlungsversprechen.

Das lässt mich an eine Szene aus "Die innere Sicherheit" von Christian Petzold denken. Die ehemaligen Terroristen steuern ein Geldversteck an, doch die Scheine sind alte D-Mark-Noten, wertlos also.

Der vergrabene Sack mit den D-Mark-Scheinen ist Papier aus einer anderen Fiktion. Die Figuren agieren einen Konflikt aus der Bundesrepublik der Siebzigerjahre aus. Sie tun dies in einem Staat, dessen Geschichte sich inzwischen weitererzählt hat.

Kann das Kino besser von Leuten erzählen, die profitieren, oder von solchen, die verlieren?

Das sind zwei Erzählmodelle, und ich glaube nicht, dass das Medium einen bestimmten Typ von Narration bevorzugt. Godard könnte beide Geschichten erzählen. In jeweils drei Minuten.

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