Film-Initiative über Video-on-Demand: „Europäischer Film hat kein Image“
Nur ein Drittel der europäischen Filme wird außerhalb ihres Herkunftslandes gezeigt. Die Initiative „Walk this way“ will das ändern.
taz: Frau Joly, Sie versuchen mit „Walk this way“ den europäischen Film überall auf der Welt zu vermarkten – ist der europäische Film zu schlecht, um das ohne ihre Hilfe auf die Reihe zu kriegen?
Muriel Joly: Nein, die Filme sind nicht schlecht, nur die aktuellen Verbreitungsmodelle machen es den europäischen Filmen sehr schwer, verbreitet zu werden. In Europa werden ungefähr 2.000 Filme pro Jahr produziert, aber nur ein Drittel bekommt die Möglichkeit, außerhalb des Herkunftslandes gesehen zu werden. Und „Walk this way“ bietet mithilfe der digitalen Verbreitungswege eine Lösung für dieses Problem.
Was ist denn das Problem mit den aktuellen Verbreitungsmodellen?
Heute werden die Filme von Rechtehändlern Land für Land im Paket verkauft: also für Kino, DVD, und Online. Und wenn die Rechte für einen Film in einem Land keinen Abnehmer finden, ist es höchstwahrscheinlich, dass dieser Film dort überhaupt nicht zu sehen sein wird – weder im Kino, noch auf DVD oder auf Video-on-Demand-Plattformen. Niemand übernimmt nur die Onlinerechte, denn es würde erst einmal Geld kosten, die Filme zu untertiteln. Dabei bieten sich digital so viele Möglichkeiten: Ein Film müsste nur untertitelt werden und könnte auf vielen Märkten laufen. Ein günstiger und flexibler Weg der Verbreitung. Aber im Moment verhindert das eben noch sehr oft der Verkauf der Rechte im Paket.
Und was machen Sie dann genau, wenn Sie einen Film verbreiten möchten? Wie wählen Sie beispielsweise aus?
Ein Film, der von uns unterstützt wird, muss erst mal ein paar Kriterien erfüllen: Die Filme müssen schon in mehrere Länder verkauft worden sein, um sicherzustellen, dass sie ein Vermarktungspotenzial haben. Und die Rechte müssen noch für mindestens fünf weitere europäischen Territorien verfügbar sein. Dann sammeln wir die Filme, die diese Kriterien erfüllen – von den Agenturen oder Produzenten. Wir schauen, ob die Märkte, für die diese Filme noch zu haben sind, überhaupt eine relevante Masse an Nutzerinnen und Nutzern von VoD-Plattformen haben. Wenn ein Film all das erfüllt, dann nehmen wir ihn entweder in eine unserer Kollektionen auf – zum Beispiel in eine Thriller-Sammlung oder eine Comedy-Kollektion – oder wir verbreiten einen Film, von dem wir denken, dass er das Potenzial dazu hat, auch als Premiumfilm ganz für sich allein. Am Ende dieses Prozesses haben wir ein Line-up an Filmen – in diesem Jahr sind es 46 – und jeder dieser Filme wird im Schnitt in zwölf Territorien dieser Welt veröffentlicht.
Wie helfen Sie konkret bei der Verbreitung?
hat Politik sowie strategisches Management studiert und als Mitarbeiterin von Under the Milky Way die Initiative „Walk This Way“ mitgegründet.
Wir investieren in die Untertitel. Dieses Jahr haben wir 900 produziert. Und für jeden Premiumfilm und jede Kollektion stecken wir noch Geld in eine Marketingkampagne. Wir treten dann an die VoD-Plattformen mit unserem Line-up heran. Denn sie sind die entscheidende Stufe in unserem Vermarktungskonzept. Wir brauchen nämlich eine gute Sichtbarkeit in den VoD-Stores. Diese Plattformen sind die globalen Anbieter wie Apples iTunes, Google Play, Sony oder Microsoft oder die lokalen wie Sky in Großbritannien oder Orange in Frankreich. Insgesamt präsentieren wir unsere Filme 20 Plattformen.
Wie viel kosten denn die Filme dort?
Die Filme kosten zwischen 2,99 Euro, wenn man einen Film leiht, und können bis 10,99 Euro kosten, wenn man einen Film kauft und herunterlädt.
Und was passiert mit den Gewinnen? Wer bekommt die?
Der Erlösanteil, der nicht bei den Plattformen bleibt, geht erst einmal an uns. Wir behalten davon 25 Prozent und den Rest reichen wir an die Rechteinhaber weiter. Aber um überhaupt erst mal in Untertitel und Marketing investieren zu können, bekommen wir Hilfe von der Europäischen Kommission. Denn im Moment investieren wir noch recht viel im Vergleich zu den Einnahmen. Der Schlüssel zum Erfolg wird sein, jetzt zu lernen, wie wir die verschiedenen Publika identifizieren und erreichen. Wenn wir das nicht schaffen, ist es hoffnungslos.
Und über wie viel Geld reden wir?
Mit der französischen Komödie „Ange Et Gabrielle“, die seit letztem Jahr online ist, haben wir bei 15.000 Transaktionen ungefähr 35.000 Euro eingenommen.
Warum laufen die Filme nicht im Abo-Bereich von Amazon oder Netflix, wo sie doch viel mehr Menschen erreichen würden?
Das ist wieder ein anderes Modell: Was im Abo-Bereich von Amazon oder Netflix läuft, wofür man als Kunde also keine weiteren Kosten hat, entscheiden die. Sie zahlen ja auch dafür und wollen die Filme häufig exklusiv. Das ist bei den offeneren Plattformen wie iTunes oder Google Play anders. Da können wir den Rechteinhabern garantieren, dass – wenn wir uns ihres Films annehmen – die Filme auch dort laufen und wir überprüfen können, wie häufig sie abgerufen werden. Das könnten wir bei den Abo-Plattformen nicht.
Das Projekt „Walk This Way“ will europäische Filme über die Grenzen des jeweiligen eigenen Landes hinaus vermarkten. Dafür nutzt es vor allem Video-on-Demand-Dienste. Die audiovisuellen Werke werden zu einem Line-up zusammengestellt. Für die aktuelle, die vierte, Edition, die 2018 erscheint, wird „Walk This Way“ 34 Filme weltweit vertreiben. Jeder Film wird in durchschnittlich acht Ländern über globale Plattformen wie iTunes, Google Play, Amazon, Sony, XboX und darüber hinaus auch bei führenden lokalen Anbietern wie Tf1, Universciné, Filmin und Flimit erhältlich sein.
Außerdem wären wir bei den Abo-Plattformen komplett abhängig von deren Algorithmen, die Filme pushen oder untergehen lassen. Unser Marketing hätte kaum Einfluss und wäre auch nicht messbar. Wir würden also all unsere Kontrolle abgeben.
Hat der europäische Film ein Imageproblem?
Nein, das Problem ist, dass der europäische Film sehr divers ist – und deshalb überhaupt kein Image hat. Es gibt keine paneuropäische Marke. Anders als beispielsweise bei US-amerikanischen Filmen: Es gibt das Hollywood-Blockbuster-Kino, die häufig sogenannten Independent- oder Arthouse-Filme, die Oscars gewinnen – und sofort haben Menschen ein Bild vor Augen, eine Erwartung.
Braucht es ein europäisches Netflix? Ein Gegengewicht, beispielsweise der Öffentlich-Rechtlichen in Europa, gegen die großen Anbieter aus den USA?
Ich glaube nicht, dass eine rein europäische Plattform Erfolg haben wird. Das wird niemals groß genug, um wirklich in einen Wettbewerb mit den Großen einsteigen zu können. Es bräuchte ein riesiges Marketingbudget, große Überzeugungskraft – und am Ende hätte man ein Angebot, das nicht das Interesse des breiten Publikums spiegelt. Wenn wir mit iTunes oder Google zusammenarbeiten, merken wir, dass sie sehr gewillt sind, europäische Filme zu promoten. Ich denke, dass das bisher der bessere Weg ist: eine internationale Plattform mit starker Präsenz von europäischen Filmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs