Filesharing ist Kulturfördernd, aber teuer: 2 Millionen-Strafe für 24 Songs
Laut Harvard-Studie nutzt Filesharing der Kulturindustrie eher, als das sie ihr schadet. Jammie Thomas hilft das wenig: Die US-Mutter wurde gerade für den Tausch von 24 Songs zu 2 Millionen Dollar Strafe verknackt.
Jammie Thomas hat keinen schönen Sommer: Die vierfache Mutter aus Minnesota hat am Donnerstag ein viel beachtetes Verfahren um das Anbieten von insgesamt 24 Songs in der Dateitauschbörse "Kazaa" verloren. 1,92 Millionen Dollar soll sie nun an die geschädigten Musikfirmen dafür zahlen, dass sie Musik von Künstlern wie "Aerosmith" oder "Green Day" zum Herunterladen verfügbar gemacht hat.
Statt sich nach einer Abmahnung für einige Tausend Dollar mit dem US-Musikindustrieverband RIAA außergerichtlich zu einigen, hatte Thomas es auf ein Verfahren ankommen lassen - das einzige derartige Verfahren in den USA, bei dem es soweit kam. Sie wollte beweisen, dass sie Kazaa nicht wissentlich verwendet hatte. Schon in erster Instanz nahm das keinen guten Ausgang: Thomas war von der Jury zur Zahlung von 9250 Dollar pro Song verurteilt worden, macht insgesamt 222.000 Dollar. In der nun entschiedenen Berufung kam es noch schlimmer. Einziger Trost für Thomas: Sie hat das Geld schlicht nicht. "Viel Glück dabei, es einzusammeln", war ihr einziger Kommentar.
Für den US-Netzbürgerrechtsverband Electronic Frontier Foundation (EFF) wirft die harsche Strafe verfassungsrechtliche Fragen auf. Der geforderte Betrag sei womöglich rechtlich völlig überzogen. Schon der Richter im ersten Verfahren habe angemerkt, dass derart hohe Schadensersatzzahlungen für den Dateitausch unangemessen seien und deshalb eine neue Entscheidung angeordnet, so EFF-Justiziar Fred von Lohmann.
Für die Musikindustrie geht es bei dem Fall um viel: Sie hatte durch die RIAA in den letzten Jahren mehr als 35.000 Abmahnungen an Amerikaner verschicken lassen, deren Internet-Adressen ihr im Zusammenhang mit Musiktauschbörsen aufgefallen war. Die Branche sieht sich dabei in einer Art Überlebenskampf: Zweistellig seien die Verkäufe von CDs in den letzten Jahren zurückgegangen, was auch durch legale Internet-Angebote wie iTunes nur teilweise habe aufgehalten werden können. Auch in Hollywood hat man Angst vor der Internet-Piraterie: Dort sieht man sich durch den illegalen Vertrieb von Filmen in seiner Existenz bedroht.
Eine Studie der renommierten Wirtschaftshochschule der Harvard University kommt nun allerdings zu einem ganz anderen Schluss. Seitdem die für die Musikindustrie als "Ursünde" geltende Dateitauschbörse Napster 1999 auf den Markt gekommen sei, habe die Menge an kulturellen Produktionen stark zugenommen. Die Untersuchung der Wirtschaftswissenschaftler Felix Oberholzer-Gee und Koleman Strumpf mit dem Titel "Dateitausch und Urheberrecht" argumentiert, dass ein schwächerer Schutz des Copyrights der Gesellschaft eher nutze als schade.
Demnach habe die aufkeimende Piraterie zwar bestimmte Geschäftsmodelle geschädigt, den Ansporn für Künstler und Unterhaltungsfirmen aber insgesamt nicht reduziert, neue kulturelle Werke zu schaffen. Genau das sei aber der Grund, warum der Gesetzgeber ein Urheberrecht eingeführt habe. So stehe bereits in der US-Verfassung, dass der Fortschritt in der Wissenschaft und bei den Künsten durch zeitlich beschränkte Exklusivrechte zu fördern sei. Die eigentliche Frage sei nun, ob Dateitauschbörsen den Output solcher Werke reduzierten oder aber nicht, so die Forscher.
Die Zahlen sprächen für letzteres, so Oberholzer-Gee und Strumpf. So sei der Absatz von Musikalben seit dem Jahr 2000 (als Napster noch florierte) zwar grundsätzlich gefallen, die Anzahl der Produktionen aber explodiert. So habe sich die Anzahl zwischen 2000 und 2007 mehr als verdoppelt - von 35.000 Werken auf fast 80.000. "Selbst wenn Filesharing der Grund dafür sein sollte, dass die Verkäufe abgesackt sind, so scheint die neue Technologie doch die Quantität der produzierten Musik nicht reduziert zu haben."
Auch die Filmbranche zeigte sich in diesem von Internet-Piraterie geprägten Jahrzehnt erstaunlich fleißig: 2003 wurden weltweit 3800 Kinostreifen produziert, während es 2007 bereits fast 5000 waren. Selbst Länder, in denen Raubkopien besonders häufig vorkommen, etwa Südkorea, Indien oder China, steigerten die Produktion stark. Aber auch in den USA war zwischen 2003 und 2007 ein Anstieg von 459 Filmen auf 590 vier Jahre festzustellen.
Die Forscher forderten die Branche nun auf, empirisch zu messen, ob die Einnahmen durch zusätzliche Produktionen die Ausfälle durch Internet-Piraterie vielleicht sogar kompensierten. So seien die Einnahmen durch Konzerte stark angestiegen. Die Politik müsse dies in der aktuellen Debatte um eine Verschärfung des Urheberrechts bedenken.
Die Fakultät, an der Strumpf und Oberholzer-Gee ihre Studie veröffentlichten, ist indes keineswegs als Hort des Kommunismus bekannt: An der Harvard Business School werden die wichtigsten Manager der US-Wirtschaft ausgebildet.
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