Fetisch Jugend: Frischfleisch für die FDP
Im Zentrum der Diskussion über den FDP-Vorsitz standen weder Kompetenz noch politische Linie. Es ging fast allein um das Alter der Kandidaten.
Jugend ist in der Politik gerade voll angesagt. Wer Mitte 30 ist, der wird das schon machen, scheint das Motto des Tages zu sein. Diesen Eindruck bekommt man zumindest, wenn man sich anschaut, mit welchen Floskeln der Führungswechsel in der FDP debattiert wurde.
Einen Generationswechsel wollte Exparteichef Guido Westerwelle. Jetzt hat er mit Philipp Rösler einen elf Jahre jüngeren Nachfolger bekommen. Ist das die "gute Mischung aus erfahrenen und jüngeren Kollegen", die Weiterhin-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle gefordert hatte? Oder ist Rösler der "junge Wilde", den Bild.de herbeigetitelt hatte?
Sicher ist: Die Diskussion über den liberalen Neuanfang wurde vor allem von der Altersfrage bestimmt. Jugend war der Fetisch und das entscheidende Kriterium für Personalien - nicht Kompetenz, Intellekt, Erfahrung oder ähnlich Nebensächliches.
Die Jungen müssen ran, denn wer jung ist, der ist frisch und unverbraucht. Diese an Banalität kaum zu übertreffende Analyse beherrschte tagelang die Personaldiskussion in der FDP. Dabei ist Alter eigentlich kein ausreichender Grund für Personalentscheidungen. Dass Christian Lindner erst 32 Jahre alt ist, sagt wenig darüber aus, ob er für den FDP-Vorsitz geeignet ist. Immerhin schafft es der Generalsekretär mit seiner geschliffenen Rhetorik, den radikalen 180-Grad-Schwenk in der Atompolitik in zwanzig Sekunden TV-tauglich plausibel zu erklären.
"Innovativ" vs. "erfahren"
Brüderle im Gegenzug zu unterstellen, er sei gut als Wirtschaftsminister geeignet, weil er Baujahr 1945 ist, ist ebenfalls Unfug. Niemand bezweifelt, dass Brüderle relativ alt ist - an seinen Kompetenzen dagegen zweifeln mittlerweile viele. Er hat ja vor allem deshalb seiner Partei geschadet, weil die Bürger in ihm keinen fähigen Minister sehen. Das Alter sagt also erst mal wenig über die Fähigkeiten von Politikern aus.
Dass trotzdem so getan wird, als könnte eine ganze Partei neu erfunden werden, nur weil die Spitze verjüngt wird, sagt viel aus über die FDP-Mitglieder, die alle verbliebenen Hoffnungen in den Parteinachwuchs projizieren. Denn wie man das Alter zu bewerten hat, ist in der Diskussion ja eine ausgemachte Sache: Junge Menschen sind frisch, teilweise sogar "wild" und vor allem innovativ. Alte Menschen sind dagegen erfahren.
Solche Schubladen nutzt eine Gesellschaft, deren Mitglieder spätestens am Tag der Einschulung gelernt haben, dass Alter das entscheidende Kriterium sei, mit dem sich die Fähigkeiten von Menschen bestimmen ließen. In der Schule sitzen ja auch die 13- oder die 15-Jährigen zusammen und nicht die, die gut in großen oder kleinen Gruppen lernen können.
Im Sport ist alles ganz einfach: Ist ein Profifußballer älter als 36, dann ist er in der Regel Torwart. Ist eine Leistungsakrobatin älter als 20, dann ist sie in der Regel im Ruhestand. In der Politik dagegen gibt es solche Richtlinien kaum. Mit 18 kann man theoretisch Bundeskanzler werden, Bundespräsident erst ab 40. Daran kann man sich nun echt nicht orientieren.
Zum Establishment gehört, wer sich etabliert hat
Dennoch muss man einräumen: Ein bisschen was ist am Denken in Generationsschubladen ja schon dran. Denn wer Erfahrung haben soll, der muss sie ja erst mal sammeln, und das dauert seine Zeit. Aber gerade Erfahrung ist eine Medaille mit zwei Seiten, geht sie in der Regel doch Hand in Hand mit festgefahrenen Strukturen, die sich nicht leicht durchbrechen lassen. Sich von dem zu trennen, was man in Jahren aufgebaut hat, fällt leichter als sich von dem zu trennen, was man in Jahrzehnten aufgebaut hat. Zum Establishment gehört, wer sich etabliert hat.
Deshalb können junge Menschen tatsächlich leichter für Innovationen sorgen. Kein Zufall, dass die Bevölkerungen, die sich jüngst gegen ihre Machthaber erhoben haben, alle sehr jung waren. Soll der Umbau der FDP wirklich zu einem Neuanfang werden, liegt es daher auch nahe, die Jungen mit dieser Aufgabe zu betrauen. Doch genauso wenig wie zwei 13-Jährige sich gleichen müssen, weil sie beide 13 sind, muss ein Politiker viel innovatives Potenzial mit sich bringen, nur weil er jung ist. Das sollte der FDP klar sein, schließlich gibt es gerade bei den Liberalen viele Menschen, die schon mit 30 fürchterlich alt wirken.
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