: Festkampf mit „Pearl Harbor“
■ Beim 12. internationalen Filmfest Emden kamen die Briten, und der Wolfgang Petersen kehrte in seine Heimat zurück
Manchmal wusste man wirklich nicht mehr, was man da gerade im Apollo-Verzehr-Kino in Emden hörte. Dort wurde zwar auf zwei Leinwänden die Mehrzahl der Filme des internationalen Filmfests gezeigt. Aber den erwarteten Publikumsansturm in der ersten Woche von „Pearl Harbor“ wollten sich die Kinobetreiber auch nicht entgehen lassen. So lief auf der dritten Leinwand das Hollywoodepos. Und da die Wände dünn und das Schlachtengetümmel laut sind, hörte man während des gesamten Festivals von rechts dumpfes Brummen, Explosionen und Geknatter. Links bimmelten immer mal wieder die Glocken der benachbarten Kirche, und wenn gerade eine neue Szene auf der Leinwand begann, war man doch eine Weile lang irritiert, warum etwa in einer schottischen Autobahnraststätte plötzlich Kirchenglocken erschalten.
Die Belästigungen durch diese Spielstätte, in der geraucht werden darf und die Tischlichter auch während des Films weiterleuchten, gehören schon zur Tradition des Filmfestes. Das nimmt man mit, denn ebenso wie auf die Mängel des Apollo kann man sich in Emden darauf verlassen, dass jeweils die neueste Ernte von britischen Filmen vorgestellt wird. „The British are coming“ heißt diese Programmschiene. Die ganz großen Produktionen und Meisterwerke schnappen sich natürlich die großen Festivals, aber die kleinen, nicht immer ganz gelungenen Filme machen das Programm von Emden immer wieder interessant.
Dank einer neuen Untertitelanlage wurde auch das schwere Schottisch in „Aberdeen“ verständlich. Der Film ist ein Roadmovie, in dem eine zersprengte Familie mit schwerer Krankheit, Alkoholismus und seelischer Vereisung kämpft. Atmosphärisch sehr dicht (hier halfen auch die Emder Kirchenglocken) droht der Film manchmal unter der Schwere seiner Themen zusammenzubrechen, aber dann blitzt wieder ein ganz eigener Witz auf.
Manchen RegisseurInnen sollte man den Schlüssel für ihre Spielzeugkiste wegnehmen. Julian Kemp hat zum Beispiel mit „House“ eine schöne Komödie mit typisch britischem Humor über das Bingospielen inszeniert, sie aber dann so mit Kameratricks wie Blitzzooms überladen, dass einem dadurch der Spaß zunehmend verdorben wird. Der gelungenste britische Film war „Room to Rent“ von Khaled El Hagar, eine britische Version von „Green Card“, die wieder einmal beweist, dass die Emigrantenkinder in Großbritannien immer kreativer werden und viel zu erzählen haben. Der neue Ken Loach „Bread and Roses“ lief auch in Emden: sein erster in den USA (aber mit europäischem Geld) gedrehter Film, in dem er noch einmal seine typische Gewerkschaftsgeschichte erzählt, die aber im neuen Setting unter mexikanischem Reinigungspersonal in den Wolkenkratzern von Los Angeles wieder neu, frisch und inspiriert wirkt.
Hollywood wurde beim Filmfest Emden in diesem Jahr völlig ignoriert, nur Emdens Einfluss auf die Filmmetropole wurde gefeiert. Denn mit Wolfgang Petersen kommt einer der zurzeit erfolgreichsten Regisseure in den USA aus der Stadt am Dollart, und diesmal ist es den Organisatoren gelungen, ihn zurückzulocken.
Als „bettelarmer Junge“ habe er mit seiner Familie direkt nach dem Krieg in einer Baracke am Hafen gewohnt, erzählt Petersen auf der Pressekonferenz. Die US-amerikanischen Schiffe im Hafen wecken damals schon das Fernweh in ihm, und im Apollo-Theater wurde er kinosüchtig, bei „amerikanischen Western“. Dieser schönen Pointe wegen verzeiht man dem Apollo fast den „Pearl Harbor“-Krach, denn im Apollo liefen natürlich auch Petersens neue Erfolgsfilme wie „In the Line of Fire“, „Air Force One“ und „Der Sturm“. Und dies ist im Grunde ein viel symbolträchtigeres Heimkommen von Petersen als jetzt sein persönliches Erscheinen. „Da werden auch mal meine Filme laufen“ ist ein viel schönerer Jungen-Tagtraum als „Wenn ich 60 Jahre alt bin, werde ich hier als berühmtester Emder geehrt.“ Wilfried Hippen
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