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Archiv-Artikel

Festival der Advokaten

Ein Bremer Rechtsanwalt und Ex-Notar sitzt seit gestern auf der Anklagebank des Landgerichts. Zum Prozessauftakt fordern gleich fünf Verteidiger, das „Mammutverfahren“ unverzüglich einzustellen

„Dieses Verfahren ist sicher kein Ruhmesblatt für die Bremische Justiz“

taz ■ Der Strafverteidiger Wilfried B. liebt den großen Auftritt. Gerne wirft sich der bekannte Bremer Rechtsanwalt bei seinen Plädoyers in Pose, greift Richter oder Staatsanwälte an, nimmt Zeugen in die Mangel. B. liebt die Rhetorik des Advokaten. Gestern jedoch gab sich B. unwöhnlich wortkarg. Zusammen mit seinem ehemaligen „Bürovorsteher“ Klaus K. sitzt B. nämlich selbst auf der Anklagebank des Bremer Landgerichts. Angeklagt ist er in 26 Fällen, unter anderem wegen Falschbekundung im Amt und Untreue.

In den Jahren 1996 und 1997 soll der heute 58-jährige B. als Notar Schriftstücke bewusst falsch beurkundet haben. Einige Mandaten hätten sich, so der Tatvorwurf, mit gestohlenen Pässen ausgewiesen, um unter falschem Namen kurz vor dem Ruin stehende Firmen zu übernehmen. Auf den Namen dieser Unternehmen sollen sie dann Waren bestellt haben, ohne diese zu bezahlen – stattdessen ging das Gut an Hehler. 1994 bereits soll B. den Kaufvertrag für ein Grundstück auf Sylt im Wissen darum beurkundet haben, dass es seinen Klienten nur darum ging, sich die Maklerprovision in 6-stelliger Höhe unter den Nagel zu reißen. Der Mitangeklagte K. schließlich soll notarielle Urkunden vorbereitet und verlesen haben, obwohl auch ihm die Machenschaften der Mandanten bekannt gewesen seien.

B. und sein Ex-Mitarbeiter lassen sich von nicht weniger als fünf Rechtsanwälten verteidigen. Diese versuchten gleich zu Prozessbeginn allerlei juristische Fallstricke auszulegen. Verteidiger Rembert Brieske beantragte gar, das Verfahren unverzüglich einzustellen. „Der Zeitraum von der Anklage im Jahr 1999 bis heute ist unter rechtsstaatlichen Kriterien überlang und nicht zu rechtfertigen.“ Tatsächlich war der Prozessbeginn in den vergangenen Jahren aufgrund gerichtsinterner Terminnöte und der Erkrankung einer Richterin immer wieder hinausgeschoben worden.

B. sei „heftigen Berichten in der Presse“ ausgesetzt gewesen, drückte Brieske auf die Tränendrüse und wies auf dessen „jahrelange Angst um die eigene berufliche Existenz“ hin. Angesichts von vier Berufsrichtern, Ersatzschöffen und zwei Staatsanwälten, denen sich B. gestern gegenübersah, sprach Brieske von einem „rechtswidrig überbesetzten Mammutverfahren“.

Als Strafverteidiger wirft sich B. gerne in Pose, gestern dagegen war er wortkarg

„Dieses Verfahren ist sicher kein Ruhmesblatt für die bremische Justiz“, musste selbst der Vorsitzende Richter Axel Fangk kleinlaut einräumen. Doch B.s Verteidiger-Phalanx ging noch weiter: „Die Bremer Strafjustiz hat in dieser Sache an Augenmaß verloren“, sagte Rechtsanwalt Gerhard Baisch. 28 Sitzungstage seien bereits fest terminiert, weitere seien geplant. „Da kann man den Eindruck gewinnen, wir verhandeln hier ein kompliziertes Kapitaldelikt.“ Dabei seien die Beweise für eine angebliche vorsätzliche Falschbeurkundung „dürftig“. Strafverteidiger würden in letzter Zeit „in dieser Republik mit Strafverfahren überzogen“, barmte Baisch. 30 Sitzungstage auf der Anklagebank könnten „auch einen bekannten Strafverteidiger ruinieren“. Gewiss hätten sich manche Bremer Richter manchmal „einen bequemeren Verteidiger“ als Wilfried B. gewünscht. Jetzt sei offenbar der Zeitpunkt gekommen, „es ihm zurückzugeben“. Markus Jox

Der Prozess wird heute um 10 Uhr im Landgericht fortgesetzt