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Festival Feuerspuren in BremenDas pure Erzählen

In einem der internationalsten Ortsteile Bremens gibt's seit 29 Jahren die „Feuerspuren“: Das Festival bezaubert durch die Kunst des Fabulierens.

Erzählen im Hühnerstall: Die Geschichte, mündlich vorgetragen, steht im Zentrum – bei den Feuerspuren 2024 ebenso wie schon 2011 Foto: Ingo Wagner/dpa

B eeindruckende Schwaden räuchern die mit gigantischen Buntpapiergeschöpfen gesäumte Bremer Lindenhofstraße. Es wirkt, als trügen die Dönerladenbesitzer, die vor ihren Türen große Holzkohlegrills aufgebaut haben, einen informellen Qualm-Wettbewerb aus, am Rande des Festivals, aber eben auch irgendwie passend. Denn das Festival heißt „Feuerspuren“.

Und während im Laufe des Nachmittags das Novembergrau in Dunkelheit übergeht, findet auf drei Bühnen tatsächlich auch Pyro-Akrobatik statt. Die gehört dazu. Aber die Feuerschlucker sind hier genauso wenig wie die Köftebrutzler und der Lampionlauf, bei dem die Buntpapierskulpturen als Lichtwesen erblühen, die Hauptattraktion.

Eher geben sie, als stimmungsvolle Rahmung, Hinweise darauf, dass sich auch nichtsprachlich das Anliegen der „Feuerspuren“ verwirklichen lässt. Das nämlich heißt: erzählen. Zwar haben sie mal, lang, lang ist’s her, als säkularer Stadtteillaternenzug begonnen.

Aber schon um die Jahrhundertwende hatten sie sich in ein Erzählfestival verwandelt, das die Läden und Einrichtungen entlang der Straße als Bühnen nutzt, das Nagelstudio, die Recyclingbörse und den Elek­trohändler, bei dem ganz früher noch die Fernseher während der Auftritte liefen.

Oh, wie schön ist Lindenhof

Sprachen, die einem hier begegnen, sind Niederländisch, Spanisch, Deutsch, Kurdisch, Platt, Türkisch und Leichtschwäbisch. Es ist ein echt internationales Festival. Alles andere wäre im Ortsteil Lindenhof auch befremdlich: Mehr als die Hälfte seiner Ein­woh­ne­r*in­nen hat einen nichtdeutschen Pass, 62, 5 Prozent einen Migrationshintergrund. Das passt. Denn, wenn einer eine Migration tut, dann kann er was erzählen.

Erzählen ist vielleicht diejenige Kunst, mit der das Menschsein beginnt: „Weil die Geschichte unseres Lebens / Unser Leben wird“, beantwortet die amerikanische Lyrikerin Lisel Mueller die Frage, warum wir unbedingt Storys zum Besten geben wollen. Das heißt aber eben auch: Alle können erzählen, sofern sie leben. Jede, jedes, jeder.

Und so auch hier. Klar, am Vorabend, „Die Lange Nacht des Erzählens“, das ist eine Gala, bei der Leute auftreten, die beruflich Geschichten vortragen und darin auch eine gewisse Virtuosität entwickelt haben.

Das ist wunderbar. Aber am Sonntag, auf der „Straße voller Geschichten“, dem Herzstück des Festivals, treten Profis und Normalos gleichberechtigt auf, 51 Einzel-Erzähler*innen, plus Gruppen wie Deutschkurse, Theater- und Tanzensembles.

Waschsalon, Bauernhof – ja, in diesem alten Hafen- und Werftarbeiterstadtteil gibt’s einen Bauernhof! –, Oldtimer-Bus, o Gott, nee, in den quetschen wir uns jetzt nicht. Die 15 Locations sind an diesem Sonntag alle bei allen vier Zeit-Slots überfüllt, auf eine fast euphorische Art.

Und das eben nur, weil da eine Person – manchmal hängt sie ein Plakat auf oder hat eine Puppe, aber meist ist es das pure Erzählen – ihrem Publikum gegenübertritt. Das kauert auf dem Teppich der nach dem Sufi-Dichter Rumi benannten Moschee. Es sitzt rund ums Feuergestell der eigens aufgebauten Erzähl-Jurte. Es knubbelt sich auf den Bierbänken im winzigen Fahrradladen.

Döntjes, Märchen und Biografien

Erzählt werden Märchen, wahre Biografien, Legenden, Parabeln, Döntjes und Stadtteilgeschichten. Erzählfestivals definieren sich sonst oft übers Genre – wie die gigantesken Berliner Märchentage – oder eine Funktion, wie die „Tage des therapeutischen Erzählens“ in Koblenz. Nicht so die „Feuerspuren“.

Sie sind, auf 300 Meter räumlich beschränkt, offen für alles und alle. Dadurch zeigt sich hier das Erzählen als Medium, das Grenzen überfliegt und unterwandert. Eins, das Gemeinschaft möglich macht.

Die distinktionsbedürftige Kulturschickeria trifft man hier nicht. Aber letztlich sind die „Feuerspuren“ in ihrer Graswurzeligkeit das einzige literarische Ereignis der Stadt, das es nicht anderswo ganz ähnlich auch gibt. Und normalerweise hätte dieses Festival der Hauptgrund sein müssen, weshalb die Unesco Bremen zur City of Literature ernannt hat. Wenn die Stadt es nicht bei der Bewerbung zu erwähnen vergessen hätte.

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Reporter und Redakteur
Jahrgang 1972. Seit 2002 bei taz.nord in Bremen als Fachkraft für Agrar, Oper und Abseitiges tätig. Alexander-Rhomberg-Preis 2002.
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