■ Festakt in Berlin – Brandanschlag in Lübeck: Nur eine Frage der Sicherheitsstufe?
Es wird in erster Linie an den Nichtjuden liegen, ob es in Deutschland jemals wieder ein jüdisches Leben geben wird, sagte Ignatz Bubis in seiner Laudatio für das am Sonntag eingeweihte Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge von Berlin. Wenige Stunden zuvor hatte er erfahren, daß in Lübeck zum dritten Mal die Synagoge in Lübeck geschändet worden war. 1938, 1994 – und dann in der Nacht zum Sonntag. Und während er diesen Satz sprach, den einzigen, der sich an diesem ganzen schönen und feierlichen Abend direkt auf den Brandanschlag münzen ließ, gingen in Lübeck die Bürger entsetzt auf die Straße, genau weil sie fürchteten, daß mit solchen Attentaten alle Hoffnung auf ein jüdisches Leben nach dem Holocaust für immer zerstört werden könnten. Denn wie soll man beten, wie soll die Herzensbildung – die Rabbiner David Weisz in Berlin als die Aufgabe und Quintessenz aller jüdischen Wissenschaft bezeichnete – gelehrt und geübt werden, wenn vor jeder jüdischen Einrichtung in Deutschland Polizeikordons stehen müssen, um mit Gewehr im Anschlag zu verhindern, daß der Haß sich wieder entzündet?
Das geht nicht, niemals wird sich in Hochsicherheitstrakten jüdisches Leben entwickeln, niemals wird es gelebt werden können, wenn jüdische Menschen unter eine Art Artenschutz gestellt werden müssen. Was für eine grausige Vorstellung. Und was für eine hilfloses Reaktion, wenn im Bewußtsein dieser Unmöglichkeit jetzt am lautesten beklagt wird, daß das Bewachungskonzept der Lübecker Polizei ungenügend war. Als ob die Verhinderung von Anschlägen nur ein technisches Problem ist, eine Frage der Sicherheitsstufen eins, drei oder sechs.
Diese Flammen in Lübeck sind um ein Vielfaches entsetzlicher als die vom vergangenen Jahr. Der Anschlag war säuberlich vorbereitet, das Timing, einen Tag vor dem 8. Mai und vor der Einweihung des Centrum Judaicum und dann auch noch am Schabbat, verriet historisches Bewußtsein. Die Brandbomben sollten sich nicht nur gegen Juden richten, sondern gleichermaßen gegen die Bundesrepublik, gegen den ganzen demokratischen Staat, dessen Stabilität im In- und Ausland immer daran gemessen werden wird, ob sich die Überlebenden des Holocaust und ihre Nachkommen in Deutschland noch einmal zu Hause fühlen können oder nicht. Und darüber hinaus war dieser Anschlag ein gezielter Mordversuch. Denn daß über dem Gotteshaus Familien wohnen, ist spätestens seit dem Brandsätzen vom vergangenen Jahr bekannt. Juden sollten sterben, als Brandopfer für eine gehaßte Republik. Auf eine verquere und mörderische Weise fackelten so die Attentäter von Lübeck eine deutsch- jüdische Symbiose herbei, die es in Wirklichkeit überhaupt nicht gibt. Anita Kugler
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