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Fesselnde Monotonie

■ Annette Noltes „Die Spinnerin“ über eine Fixerin in St. Georg

Anne Selten bewegt sich durch St. Georg wie ein Schatten ihrer eigenen, mageren Gestalt. Nicht gerade selten, dieses Schicksal – man hat schon so viele Annes gesehen: Als Prostituierte verdienen sie ihr täglich Heroin, die Wartezeit für eine Therapie ist lang, und Anne hat gar keinen Willen, von der Spritze wegzukommen. Sie tut nur so, damit der Richter sie nicht verknackt.

„Wird sich etwas ändern, Anne?“, fragt einmal ihre Schwester. Annes Antwort: „Eher bleibt alles einfach so, wie es ist. Ich habe den Eindruck, daß ich mich bis zum völligen Stillstand verlangsame.“ Apathie und Resignation – auch das sind Eigenschaften, die einem von Mitmenschen bekannt sind. Ist Anne, die Protagonistin in Annette Noltes Debütroman Die Spinnerin, eine Durchschnittsfixerin?

Die 31jährige Autorin sträubt sich vehement gegen solche Einschätzungen: „Ich will keine Klischees bedienen, schließlich gibt es keine Prototyp-Fixerin.“ Und tatsächlich merkt man nach wenigen Sätzen der Lektüre, daß Anne keinem vorgefertigten Bild entspricht: Sie hat eine sorgende Familie, hat das Abitur und einige Semester studiert. Ihr Alltag ist monoton, aber es ist durchaus fesselnd, ihn zu verfolgen.

Kaum mehr tut Nolte, als einen Alltag zu beschreiben, den sie nach vielen Jahren als Bewohnerin St. Georgs für die erdachte Nachbarin gesponnen hat. Ihre Quelle ist der genaue Blick auf Personen und Situationen, bei denen die meisten Hamburger lieber wegsehen. Mit Anne entsteht so ein beeindruckender Mensch, der allerdings weder von innen noch von außen voll ausgestattet ist. Denn die Erzählerin maßt sich keine Realitätstreue an – sie weiß, daß die Droge die Weltsicht der „anderen“ unüberwindbar von der eigenen trennt.

Wie durch eine Kameralinse registriert sie Anne, läßt Gedanken nur hier und dort mal zu. Die Sprache, die Nolte wählt, ist schlicht: kurze Sätze, solide Berichterstattung, faszinierend wie ausgefeilte Poesie.

Viel Gefühl und Mitgefühl erzeugt dieses Buch beim Lesen, ohne selbst nur ansatzweise Gefühlsduselei zu betreiben. Ein großer, dünner Roman, dessen Autorin sagt, was ist, ohne nach Größe zu streben.

Nele-Marie Brüdgam

Annette Nolte: „Die Spinnerin“, Edition Galgenberg im Verlag Rasch und Röhring, Hamburg 1996, 160 Seiten, 32 Mark

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