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Archiv-Artikel

Fesselnd authentisch

Mit „Frühlings Erwachen“ beschließt Regisseur Nils Daniel Finckh sensibel seine „Trilogie einer zeitlosen Jugend“

„Warst du nicht fett und rosig, warst du nicht glücklich. Wo fing das an und wann? Was hat dich irritiert? Was hat dich bloß so ruiniert?“, singen 1996 Die Sterne. Ein Zitat im Programmheft zu Nils Daniel Finckhs Inszenierung von Frühlings Erwachen, Frank Wedekinds Stück aus dem Jahr 1891. Es passt aufs Wort. Laute Musik erwartet man dennoch umsonst, es gibt nur ganz sporadisch sanfte Klavieruntermalung, mal tippt die Pianistin nur ein paar hohe Tasten an. Angenehm ruhig und entspannt hat der 36-jährige Regisseur die „Kindertragödie“ umgesetzt, die Wedekind mit 27 Jahren schrieb.

Mit Frühlings Erwachen schließt Finckh – nach Trainspotting und Romeo und Julia – auch seine eigene „Trilogie einer zeitlosen Jugend“ ab. Und ist dabei sichtlich gereift. War Romeo und Julia noch ein hilfloser Versuch, mit Flapsigkeit und einem vermeintlichen Filmstar-Aufgebot die Tragödie als cooles Jugendtheater zu präsentieren, so hat der Regisseur sich hier zurückgenommen und auf Authentizität gesetzt. Ein halbes Jahr hat er an Hamburger Schulen gecastet und schließlich mit Parbet Chugh als Moritz und Andreas Tobias als Melchior ein stimmiges Freundespaar gefunden. Und wenn die rotschopfige Laura Lozito als über-sinnliche Wendla die Bühne betritt, hält das Publikum den Atem an.

Das Großartige ist, dass es in keinem Moment peinlich wird. Was wurde nicht schon gruppenmasturbiert und sich gegenseitig besprungen in den verschiedenen Umsetzungen dieses Stückes; nichts davon bei Finckh. Seine Jugendlichen sind echte Teenager: mal verunsichert, mal wild, mal zart – dabei aber immer unschuldig. Wenn Melchior und Wendla schließlich miteinander schlafen, ziehen sie sich verschämt die Decke über die Köpfe.

Als Kontrast hat der Regisseur geschickt die Stimmen der Vernunft – also die der Eltern und Lehrer – per Video eingespielt. Barbara Auer, Nina Petri und Kai Wiesinger als hilflose Mütter und Väter, genauso Manfred Zapatka als gnadenloser Rektor, bleiben in einer anderen Dimension für ihre Kinder. Und diese verharren als hilflose kleine Schattenfiguren vor der Leinwand. „Ich passe nicht hinein“, sagt Moritz Stiefel. „Soll ich dafür büßen, dass alle anderen schon da waren?“

Im Publikum ist es bei solchen Szenen andächtig still, obwohl fast nur Jugendliche in der Vorstellung sitzen. Es ist die Authentizität der Darsteller, die an diesem Abend fesselt. Eine Wahrhaftigkeit, die man vielleicht gar nicht spielen kann. Carolin Ströbele

nächste Vorstellungen: 29. + 30. 4., 20 Uhr, Malersaal