: Fenster zur Seele
Viele Sprossenfenster fallen dem Versuch zum Opfer, den Gebäudebestand klimafreundlich umzugestalten. Das zerstört das Gesicht der Stadt
Der Klimaschutz entwickelt sich zu einer akuten Bedrohung für die gebaute Umwelt: die Stadtlandschaft mit ihren Altbauten. Wärmeschutzfenster und dicke Pakete mit Isoliermaterial haben bereits so manches Fenster in eine Schießscharte verwandelt. Historische Fassaden laufen Gefahr, auf einem Altar der guten Vorsätze geopfert zu werden.
Die staatlich geförderte Altbausanierung mit Wärmedämmung bildet ein zentrales Element des Klimaschutzes. Wegen der Finanzkrise diskutiert die Politik, dies zu forcieren. Altbausanierungen sollen als Mittel der Konjunkturbelebung eingesetzt werden. Doch gegen den Verlust der Klinkerfassaden mit ihren Sprossenfenstern regt sich Widerstand – zumindest in Hamburg, wo sie das Gesicht der Stadt prägen.
Bis in das 19. Jahrhundert folgte die Sprossenteilung vor allem technischen Notwendigkeiten, da große Scheiben schwer zu produzieren waren. Erst in der Kaiserzeit begannen sich unterschiedliche Fensterformen auszubilden. Typisch für die Mietskasernen der Belle Epoque wurden hochrechteckige Fenster mit Kreuzstöcken, die die Fenster in zwei Öffnungsflügel sowie kleinere Oberlichter unterteilten. Zusammen mit der Wiederentdeckung der Backsteinbauweise in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg wurde das Sprossenfenster zu einem Werkzeug für die Verbindung von Tradition und Moderne. Die Tendenz zur Versachlichung setzte sich auch in der Weimarer Republik fort. Das seriell gegliederte Breitfenster übertrug den einheitlichen städtebaulichen Maßstab ins architektonische Detail. Die Nationalsozialisten wiederum ließen hochformatige Fenster mit gemauerten Fensterstürzen bauen, um Stahl zu sparen, den sie für die Rüstung brauchten.
Beim Sprossenfenster handelt es sich um Architektur im Kleinen, die nach Rhythmus- und Proportionsmaßstäben gegliedert und in den Kontext der Fassade eingefügt ist. Zum anderen ist ihre Lage in der Fassade wichtig. Sprossenfenster sitzen in der Regel bündig, um das Kontinuum der Außenwand zu erhalten.
Jeder Eingriff in diese Matrix stellt eine Störung ihrer Balance dar. Nicht nur, dass bei neuen Fenstern Rahmen- und Sprossenprofile meist viel breiter sind. Auch der Teilungsrhythmus findet selten Beachtung. Stattdessen werden großformatige Scheiben verwendet, oft mit einem asymmetrischen Teilungsraster. Sie mögen günstiger in der Fertigung und einfacher zu reinigen sein, aber sie sprengen die Integrität der Flächentextur. An die Stelle einer optischen Verklammerung von Mauerwerksöffnungen tritt ein Loch in der Fassade. Verstärkt wird dieser Effekt noch durch neue Wärmedämmfassaden, die vorgesetzt werden, so dass die Fenster in kleinen Höhlen verschwinden.
Das Sprossenfenster ist Ausdruck einer architektonischen Gefühlslage und historisches Dokument zugleich. Damit wird es zu einem Fenster zur Seele des Hauses. Dass alte Sprossenfenster den heutigen energetischen und Komfortansprüchen nicht genügen, ist unstrittig. Bautechnisch ist es jedoch möglich, das Erscheinungsbild alter Sprossenfenster auch bei neuen Fenstern weitgehend originalgetreu nachzubilden. Die überschaubaren Mehrkosten sollten weniger mit finanziellen als ideellen Maßstäben bewertet werden. Sprossenfenster sind kostbar. Schließlich sind ihre subtilen architektonischen Qualitäten und ihre Wirkung im Stadtbild ein Gewinn für uns alle. JAN LUBITZ