piwik no script img

Feminismus-DebatteBarbie in der F-Klasse

Kommentar von Claudia Pinl

Opfer und Ego (5): Die Kluft zwischen Alpha-Mädchen und Altfeministinnen ist groß - aber überbrückbar, wenn beide anfangen, herrschende Geschlechterbilder zu zerstören.

I m Kölner Stadtmuseum läuft zurzeit eine Ausstellung mit dem Titel "Busy Girl - Barbie macht Karriere". Die Barbie-Puppe, das bekannteste und angeblich erfolgreichste Mädchenspielzeug aller Zeiten, ist inzwischen 48 Jahre alt, hat aber immer noch die Figur eines 20-jährigen Models. Als sie 1959 erstmals verkauft wurde, trug Barbie vor allem Badeanzüge. Im Laufe der Jahrzehnte erweiterte sich ihr Repertoire erheblich: von der Bikini-Schönheit über die Hausfrau, Ärztin und Astronautin bis zur Präsidentschaftskandidatin. Geblieben sind die wichtigsten Attribute ihrer Weiblichkeit: Barbie trägt die Haare hüftlang und meistens blond, die Schuhe hochhackig, die Röcke kurz, die beeindruckende Oberweite dekolletiert.

Barbies Karriere spiegelt das wider, was Ute Gerhard "die kulturelle Modernisierung der Geschlechterverhältnisse" nennt (taz vom 23. 8.), eine Diversifizierung von Lebensmustern und Erweiterung von Handlungsoptionen für Frauen. Die systematischen Benachteiligungen bestehen trotzdem fort, wenn auch subtiler als zu den Zeiten, in denen Barbie noch ausschließlich im Badeanzug posierte. Dafür zum Teil mit steigender Tendenz, wie etwa der sinkende Frauenanteil in einigen naturwissenschaftlich-technischen Berufen zeigt.

Die Alpha-Mädchen, wie Der Spiegel beruflich erfolgreiche junge Frauen nennt, oder die "F-Klässlerinnen" der Autorin Thea Dorn sind sich mit den Altfeministinnen einig, dass die strukturelle Benachteiligung bekämpft werden muss. Nur wie, und mit welcher Intensität, ist umstritten. Die Altfeministinnen bewundern zwar den Schwung, mit dem sich die F-Klasse der neuen Freiheit bedient. Aber diese Handlungslust erscheint ihnen keineswegs ausreichend.

Der Zusammenhang zwischen politischem Projekt und persönlicher Selbstbestimmung scheint gerissen. Das allumfassende Befreiungspathos zieht nicht mehr. Die F-Klässlerinnen haben sich mit ihrer individuellen Teilbefreiung anscheinend im Kapitalismus eingerichtet und senden das Signal aus: Welche jetzt noch diskriminiert wird, ist selber schuld. Zumindest unterstellen ihnen das die Altfeministinnen und nennen diese Haltung "zynisch".

Der Vorwurf "Selber schuld" enthält aber leider ein Korn Wahrheit. Denn wie andere Machtstrukturen hat auch das Patriarchat eine objektive und eine subjektive Seite. Es gibt welche, die dominieren, und welche, die sich unterordnen. Wir selber sind es, die durch Handlungen und Unterlassungen Machtstrukturen immer wieder herstellen. Die symbolische Ordnung, in der Frauen das zweite Geschlecht sind, besteht in unser aller täglichem doing gender, den Gesten und Handlungen, mit denen wir uns gegenseitig unsere Männlichkeit oder Weiblichkeit bestätigen. Das machen zum Beispiel Mädchen, die schlecht bezahlte Sackgassenberufe wählen, weil Arzthelferin "weiblich" ist und Informatik "männlich". Das machen junge Frauen, die beruflich zugunsten ihrer Partner zurückstecken, auch wenn sie den qualifizierteren oder sogar besser bezahlten Beruf haben. Das machen die Bräute, die im Jahr 14 nach Änderung des Namensrechts den Namen des Mannes annehmen, weil "es sich so gehört". Das macht die Angestellte, die für den Kollegen die Routinearbeiten übernimmt und über seine frauenfeindlichen Witze lacht, während sie der karriereorientierten Kollegin Kaltschnäuzigkeit unterstellt.

Die Erkenntnisse der dekonstruktivistischen Gendertheorien haben die säuberliche Trennung in Täter und Opfer aufgehoben. Das Fatale ist, dass die Mechanismen, die uns selbst zu Täterinnen oder Mittäterinnen machen, schwer durchschaubar und noch schwerer zu ändern sind. Denn sie sind mit dem Bedürfnis der meisten Frauen verknüpft, von Männern als begehrenswerte geschlechtliche Wesen wahrgenommen zu werden.

Christina Obergföll, Silbermedaillengewinnerin im Speerwurf bei der diesjährigen Leichtathletik-WM, hadert mit der Tatsache, dass ihre Freundinnen in Tops der Größe S oder XS passen, während sie selbst dank ihres durch den Leistungssport breiteren Kreuzes L oder gar XL tragen muß. "Sie will sportlichen Erfolg, aber auch als Frau wahrgenommen werden", kommentiert der Sportredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers, womit sich Obergföll nach Einschätzung des Redakteurs an der Quadratur des Kreises versuche. Erfolg, sportliche Siege, Muskeln, ein "breites Kreuz" sind offenbar "unweiblich". Obergföll sieht das auch so und versucht durch Sexfotos von sich - schwarzer Blazer und sonst nichts - dagegenzuhalten.

Die Pornografisierung der Gesellschaft, die Entblößung von Frauenkörpern in Mode, Werbung und Medien, die Reduktion von Frauen auf Objekte des männlichen Blicks, konterkariert den Autonomiezuwachs von Frauen. Wenn schon Speerwerferin, Astronautin oder Präsidentschaftskandidatin, dann aber bitte weiblich und sexy. Was das ist, definieren Männer. Auch wenn die meisten es nicht mehr offen zugeben: Dynamische, machtbewusste Frauen erscheinen vielen Männern nicht begehrenswert, weil sie das Muster von Dominanz und Unterordnung durchbrechen.

Die symbolische Ordnung der Geschlechter, der enge Zusammenhang zwischen der Unterordnung von Frauen und den vorherrschenden Bildern von Männlichkeit und Weiblichkeit, ist ein Feld, das Powerfrauen und Altfeministinnen gemeinsam beackern können. Niemand aus der F-Klasse muss ein schlechtes Gewissen haben, weil ihr beruflicher Erfolg nicht auch zu einer Erhöhung der Löhne von Friseurinnen geführt hat. Wichtig ist, dass erfolgreiche Frauen in ihrem eigenen beruflichen Umfeld andere Frauen fördern und ermutigen. Frauen fällt es schwerer als Männern, sich untereinander Wert zuzumessen, die Leistung, Intelligenz und den Erfolg einer anderen Frau anzuerkennen, statt sie als Konkurrentin um den Job und/oder den Mann wahrzunehmen. Solidarität im Büro heißt, bei frauenfeindlichen Witzen nicht zu lachen und Frauen, die sich gegen den täglichen Sexismus wehren, nicht in den Rücken zu fallen. Wenn Managerinnen sich nicht nur auf ihre männlichen Kollegen beziehen, sondern Mitarbeiterinnen und deren Leistungen mindestens genauso honorieren, wenn sie als Mütter, Tanten oder Lehrerinnen junge Frauen ermutigen, technische Berufe zu ergreifen, und ihnen die Angst nehmen, damit ihre "Weiblichkeit" zu verspielen, ist das angewandter Feminismus. Viele beruflich erfolgreiche Frauen praktizieren diese Solidarität und engagieren sich in Netzwerken und Mentoring-Programmen für junge Frauen. Die Altfeministinnen, unter ihnen zahlreiche Wissenschaftlerinnen, haben es bisher versäumt, die Ergebnisse der Gender-Theorien zu popularisieren, um Frauen und Männer stärker für den Sexismus des alltäglichen doing gender zu sensibilisieren. Wenn das gelänge, könnte Barbie ihre langen Haare kürzen, die bei manchmal einfach lästig sind, und Christina Obergföll würde sich in ihren XL-Klamotten wohl fühlen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • MF
    Michael Fischer

    Hiermit rufe ich die nationale Aktion "Hirnspende für Thea Dorn" ins Leben, wenn alle 81 Millionen mitmachen, könnte sie es gerade so auf erträgliches Niveau schaffen...

  • AZ
    A. Z.

    Die angebliche ?Modernisierung des Geschlechter-Verhältnisses" in der ?westlichen Welt?, scheint mir, ist tatsächlich bloße Kosmetik. Und die Schuld daran tragen keineswegs nur die Männer.

     

    Die aller meisten der ?dynamischen, machtbewussten Frauen? unserer Zeit durchbrechen das Muster von Dominanz und Unterordnung nicht, sie kehren es um. Das mag eine Lösung im Einzelfall sein, zum ?politischen Projekt? taugt dieser Ansatz nicht. Schließlich sind auch viele Männer Gefangene ihrer Fixierung auf diese gesellschaftliche Muster. Der ?Schoko-Weihnachtsmann? weiß oft selbst am besten um seine Schwächen. Das Schlimme an ihm ist, dass er sich außerstande sieht, die richtigen Schlüsse aus einer eventuellen Selbsterkenntnis zu ziehen und anschließend entsprechend zu handeln. Er ist bei Strafe der Deklassierung gezwungen, die kompetente Führungskraft zu geben, selbst wenn er diesen Job hasst wie die Pest. Nur die Hierarchie garantiert ihm, dass er nicht ?auf dem ?falschen Fuß? angegriffen wird. Er tritt nach ?unten? (und also vorzugsweise nach Frauen), weil er nicht anders darf.

     

    Ich denke, aus dem vom Konkurrenzdenken in Gang gehaltenen Kreislauf kommen wir alle miteinander nur heraus, wenn erfolgreiche Frauen in ihrem eigenen beruflichen Umfeld nicht ausschließlich andere Frauen fördern, sondern auch Männer. Vorausgesetzt natürlich, diese Männer lassen sich von gesellschaftlich vorgegebenen Mustern nicht einschüchtern. Bei frauenfeindlichen Witzen nicht zu lachen, ist schließlich kein Gebot weiblicher Solidarität, sondern eins der Menschlichkeit. Es irrt, wer glaubt, alle Männer besäßen auf Grund ihres Y-Chromosoms eine angeborene Neigung dazu, ein Arschloch zu sein. Die Biologie hat werde für Frauen noch für Männer die Opferrolle vorgesehen. So wenig, wie sie die Täterrolle kennt. Auch Männer leiden, wenn sie nicht entsprechend ihren Fähigkeiten und Neigungen handeln dürfen und das macht sie aggressiv. Auf diese Aggressivität ausschließlich mit Aggressivität antworten zu dürfen ist eine Vorschrift, die abgeschafft gehört. Wenn schon nicht von Männern, dann wenigstens von Frauen. Und das Verbot, gegen die Vorschrift anzugehen, muss gleich mit fallen ? Trotz, nein gerade wegen solcher Frauen, wie Eva Herrman eine ist.

     

    Es scheint, der Post-Feminismus ist in die gleiche Sackgasse geraten, in der die Sozialdemokratie schon steckt. Die hat Ausbeutung und Unterdrückung offiziell abgeschafft, inoffiziell aber hat sie sie bloß privatisiert. Der erfolgreiche Mensch unterdrückt sich selbst, das spart Kosten. Es löst allerdings nicht das Problem. Das Problem lösen wir höchstens, wenn wir davon ausgehen, dass es keine Rolle spielt, als was wir geboren werden. Wichtig ist, dass wir uns von niemandem eine Rolle zuweisen lassen, die uns nicht entspricht. Frauen, die in ihren Netzwerken unter sich bleiben, können ebenso gut am Herd stehen, denke ich.

     

    Übrigens zeugt der Satz ?Es gibt welche, die dominieren, und welche, die sich unterordnen? nicht eben von Intelligenz. Eher von Ignoranz. Das Leben ist schließlich keine Bockwurst. Es ist weder homogen in seinem Inhalt, noch ist es abgeschlossen in seiner Erscheinung. Niemand ordnet sich immer und überall unter. Niemand dominiert jederzeit und allerorts. Es gibt nicht nur den Job im Leben und wer das nicht kapiert, der sollte aus der Emanzipationsbewegung ausgeschlossen werden. Wegen seines schlechten Kosten-Nutzen-Verhältnisses.

  • RK
    Rupert Kalkofen

    Sehr geehrte Frau Pinl

     

    Offensichtlich haben Sie tatsächlich etwas von der dekonstruktiven Gendertheorie verstanden, denn Sie schreiben ja:

     

    "Wir selber sind es, die durch Handlungen und Unterlassungen Machtstrukturen immer wieder her-stellen. Die symbolische Ordnung, in der Frauen das zweite Geschlecht sind, besteht in unser aller täglichem doing gender, den Gesten und Handlungen, mit denen wir uns gegenseitig unsere Männ-lichkeit oder Weiblichkeit bestätigen."

     

    Dennoch reicht, das, was Sie verstanden haben, ganz offensichtlich nicht sehr weit, denn nur zwei Absätze später heisst es: " [?] die Reduktion von Frauen auf Objekte des männlichen Blicks, konterkariert den Autonomiezuwachs von Frauen. Wenn schon Speerwerferin, Astronautin oder Präsidentschafts-kandidatin, dann aber bitte weiblich und sexy. Was das ist, definieren Männer."

     

    Sowohl das mit dem Sexual-Objekt, wie auch und erst recht die Behauptung, dass Männer definierten, was weiblich und sexy sei, zeigt, dass Sie die zuvor berufene Quintessenz der Dekonstruktion sofort wieder vollständig vergessen haben und ausser acht lassen, vermutlich, weil Sie nun mal von diesen Ihren Lieblingsvorstellungen nicht lassen wollen.

     

    Auch ohne Dekonstruktion und Gendertheorie kann man wissen, dass es demographisch zwischen 14 und 40 einen Männerüberschuss gibt. Das heisst, dass es für jede Frau in dieser Altersgruppe mehr als einen Mann, dass es aber nicht für jeden Mann in dieser Altersgruppe auch eine Frau gibt. Die Frauen haben also die Wahl, und die Männer stehen untereinander in verschärfter Konkurrenz. Und da wollen Sie behaupten, Männer könnten so einfach bestimmen, was weiblich ist und sexy? Das ist weder aufgrund der demographischen Kräfteverhältnisse plausibel, noch aufgrund von bescheidenen eigenen Erfahrungen (von Einsichten speche ich hier noch gar nicht) in das Gegebensein von Begehren.

     

    Wenn wir aber doch mal den Bereich der Gendertheorie und des Doing Gender betreten wollen, so müsste es Ihnen eigentlich einleuchten, dass ein Artikel wie der Ihre, der das Begehren von Frauen (welche Männer wollen sie und wählen sie?) entweder verschweigt oder nur soweit zulässt, wie es geeignet ist, die Frau eben NICHT als die (wie Sie sagen würden) "autonom" Begehrende, sondern als eine von anderen Begehrte, als deren Objekt zu zeigen, das sich nicht wehren kann, dass es also ein derartiger Artikel ist, der die Frau als schwaches Geschlecht darstellt. Damit stehen Sie, wie Sie wissen, wahrlich nicht alleine da. Der Feminismus meint, ausserhalb des Patriarchats zu stehen und gegen ihn zu kämpfen, benutzt dazu aber, ohne es zu begreifen, das patriachale Bild vom schwachen Geschlecht, welches Bild ihm offensichtlich lieb und teuer ist. SO erzeugt er das Patriarchat und DARÜBER denkt die gendertheoretische Dekonstruktion (unter anderem) nach.

     

    Dass Ihr Artikel von erheblicher Einsicht weit entfernt ist, ist weder Ihnen persönlich vorzuwerfen, noch der Zeitung, die möchte, dass Sie diese Dinge schreiben, sondern zeigt einfach, dass der Feminismus, in welcher Spielart auch immer, seit rund 30 Jahren herrschendes Bewusstsein ist, und das heisst ja, ich zitiere, "mit Notwendigkeit falsches Bewusstsein".

     

    Von daher bräuchte ich mich über diesen Artikel eigentlich weder zu wundern, noch zu ärgern. Letzteres tue ich trotzdem.

     

    Mit vielen Grüssen,

     

    Rupert Kalkofen (Dieser Kommentar ist nicht zur Veröffentlichung bestimmt.)