Feminismus-Debatte: Barbie in der F-Klasse
Opfer und Ego (5): Die Kluft zwischen Alpha-Mädchen und Altfeministinnen ist groß - aber überbrückbar, wenn beide anfangen, herrschende Geschlechterbilder zu zerstören.
I m Kölner Stadtmuseum läuft zurzeit eine Ausstellung mit dem Titel "Busy Girl - Barbie macht Karriere". Die Barbie-Puppe, das bekannteste und angeblich erfolgreichste Mädchenspielzeug aller Zeiten, ist inzwischen 48 Jahre alt, hat aber immer noch die Figur eines 20-jährigen Models. Als sie 1959 erstmals verkauft wurde, trug Barbie vor allem Badeanzüge. Im Laufe der Jahrzehnte erweiterte sich ihr Repertoire erheblich: von der Bikini-Schönheit über die Hausfrau, Ärztin und Astronautin bis zur Präsidentschaftskandidatin. Geblieben sind die wichtigsten Attribute ihrer Weiblichkeit: Barbie trägt die Haare hüftlang und meistens blond, die Schuhe hochhackig, die Röcke kurz, die beeindruckende Oberweite dekolletiert.
Barbies Karriere spiegelt das wider, was Ute Gerhard "die kulturelle Modernisierung der Geschlechterverhältnisse" nennt (taz vom 23. 8.), eine Diversifizierung von Lebensmustern und Erweiterung von Handlungsoptionen für Frauen. Die systematischen Benachteiligungen bestehen trotzdem fort, wenn auch subtiler als zu den Zeiten, in denen Barbie noch ausschließlich im Badeanzug posierte. Dafür zum Teil mit steigender Tendenz, wie etwa der sinkende Frauenanteil in einigen naturwissenschaftlich-technischen Berufen zeigt.
Die Alpha-Mädchen, wie Der Spiegel beruflich erfolgreiche junge Frauen nennt, oder die "F-Klässlerinnen" der Autorin Thea Dorn sind sich mit den Altfeministinnen einig, dass die strukturelle Benachteiligung bekämpft werden muss. Nur wie, und mit welcher Intensität, ist umstritten. Die Altfeministinnen bewundern zwar den Schwung, mit dem sich die F-Klasse der neuen Freiheit bedient. Aber diese Handlungslust erscheint ihnen keineswegs ausreichend.
Der Zusammenhang zwischen politischem Projekt und persönlicher Selbstbestimmung scheint gerissen. Das allumfassende Befreiungspathos zieht nicht mehr. Die F-Klässlerinnen haben sich mit ihrer individuellen Teilbefreiung anscheinend im Kapitalismus eingerichtet und senden das Signal aus: Welche jetzt noch diskriminiert wird, ist selber schuld. Zumindest unterstellen ihnen das die Altfeministinnen und nennen diese Haltung "zynisch".
Der Vorwurf "Selber schuld" enthält aber leider ein Korn Wahrheit. Denn wie andere Machtstrukturen hat auch das Patriarchat eine objektive und eine subjektive Seite. Es gibt welche, die dominieren, und welche, die sich unterordnen. Wir selber sind es, die durch Handlungen und Unterlassungen Machtstrukturen immer wieder herstellen. Die symbolische Ordnung, in der Frauen das zweite Geschlecht sind, besteht in unser aller täglichem doing gender, den Gesten und Handlungen, mit denen wir uns gegenseitig unsere Männlichkeit oder Weiblichkeit bestätigen. Das machen zum Beispiel Mädchen, die schlecht bezahlte Sackgassenberufe wählen, weil Arzthelferin "weiblich" ist und Informatik "männlich". Das machen junge Frauen, die beruflich zugunsten ihrer Partner zurückstecken, auch wenn sie den qualifizierteren oder sogar besser bezahlten Beruf haben. Das machen die Bräute, die im Jahr 14 nach Änderung des Namensrechts den Namen des Mannes annehmen, weil "es sich so gehört". Das macht die Angestellte, die für den Kollegen die Routinearbeiten übernimmt und über seine frauenfeindlichen Witze lacht, während sie der karriereorientierten Kollegin Kaltschnäuzigkeit unterstellt.
Die Erkenntnisse der dekonstruktivistischen Gendertheorien haben die säuberliche Trennung in Täter und Opfer aufgehoben. Das Fatale ist, dass die Mechanismen, die uns selbst zu Täterinnen oder Mittäterinnen machen, schwer durchschaubar und noch schwerer zu ändern sind. Denn sie sind mit dem Bedürfnis der meisten Frauen verknüpft, von Männern als begehrenswerte geschlechtliche Wesen wahrgenommen zu werden.
Christina Obergföll, Silbermedaillengewinnerin im Speerwurf bei der diesjährigen Leichtathletik-WM, hadert mit der Tatsache, dass ihre Freundinnen in Tops der Größe S oder XS passen, während sie selbst dank ihres durch den Leistungssport breiteren Kreuzes L oder gar XL tragen muß. "Sie will sportlichen Erfolg, aber auch als Frau wahrgenommen werden", kommentiert der Sportredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers, womit sich Obergföll nach Einschätzung des Redakteurs an der Quadratur des Kreises versuche. Erfolg, sportliche Siege, Muskeln, ein "breites Kreuz" sind offenbar "unweiblich". Obergföll sieht das auch so und versucht durch Sexfotos von sich - schwarzer Blazer und sonst nichts - dagegenzuhalten.
Die Pornografisierung der Gesellschaft, die Entblößung von Frauenkörpern in Mode, Werbung und Medien, die Reduktion von Frauen auf Objekte des männlichen Blicks, konterkariert den Autonomiezuwachs von Frauen. Wenn schon Speerwerferin, Astronautin oder Präsidentschaftskandidatin, dann aber bitte weiblich und sexy. Was das ist, definieren Männer. Auch wenn die meisten es nicht mehr offen zugeben: Dynamische, machtbewusste Frauen erscheinen vielen Männern nicht begehrenswert, weil sie das Muster von Dominanz und Unterordnung durchbrechen.
Die symbolische Ordnung der Geschlechter, der enge Zusammenhang zwischen der Unterordnung von Frauen und den vorherrschenden Bildern von Männlichkeit und Weiblichkeit, ist ein Feld, das Powerfrauen und Altfeministinnen gemeinsam beackern können. Niemand aus der F-Klasse muss ein schlechtes Gewissen haben, weil ihr beruflicher Erfolg nicht auch zu einer Erhöhung der Löhne von Friseurinnen geführt hat. Wichtig ist, dass erfolgreiche Frauen in ihrem eigenen beruflichen Umfeld andere Frauen fördern und ermutigen. Frauen fällt es schwerer als Männern, sich untereinander Wert zuzumessen, die Leistung, Intelligenz und den Erfolg einer anderen Frau anzuerkennen, statt sie als Konkurrentin um den Job und/oder den Mann wahrzunehmen. Solidarität im Büro heißt, bei frauenfeindlichen Witzen nicht zu lachen und Frauen, die sich gegen den täglichen Sexismus wehren, nicht in den Rücken zu fallen. Wenn Managerinnen sich nicht nur auf ihre männlichen Kollegen beziehen, sondern Mitarbeiterinnen und deren Leistungen mindestens genauso honorieren, wenn sie als Mütter, Tanten oder Lehrerinnen junge Frauen ermutigen, technische Berufe zu ergreifen, und ihnen die Angst nehmen, damit ihre "Weiblichkeit" zu verspielen, ist das angewandter Feminismus. Viele beruflich erfolgreiche Frauen praktizieren diese Solidarität und engagieren sich in Netzwerken und Mentoring-Programmen für junge Frauen. Die Altfeministinnen, unter ihnen zahlreiche Wissenschaftlerinnen, haben es bisher versäumt, die Ergebnisse der Gender-Theorien zu popularisieren, um Frauen und Männer stärker für den Sexismus des alltäglichen doing gender zu sensibilisieren. Wenn das gelänge, könnte Barbie ihre langen Haare kürzen, die bei manchmal einfach lästig sind, und Christina Obergföll würde sich in ihren XL-Klamotten wohl fühlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Die Linke im Bundestagswahlkampf
Kleine Partei, großer Anspruch
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?