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Archiv-Artikel

KURZKRITIK VON KLAUS WOLSCHNER Feierstunde für das Buch

Während die großen Scheinwerfer am vergangenen Donnerstag auf das Weser-Stadion gerichtet waren, versammelte sich eine Gemeinde von Buchgläubigen bei Storm, um voller Faszination einem alten Text aus dem Jahre 1669 zu lauschen.

Grimmelshausens Simplicissimus wurde dort vorgestellt von Reinhard Kaiser, dem Mann, der das Buch aus dem Teutschen ins Deutsche übertragen hat, um es lesbar zu machen und den Sprachwitz wieder hervorzukitzeln, der sich im Original nur Experten des Neuhochdeutschen erschließt. Denn wer ahnt schon, was „auf Partei gehen“ bedeutet hat in der Zeit des grausamen 30-jährigen Krieges? Plündern, brandschatzen, vergewaltigen. Ein Wort, das das Gewissen ausschalten sollte – so wie in der Nazizeit von „Aktion“ gesprochen wurde, wenn es daran ging, Juden zu ermorden.

Der alte Text ist ein Sittengemälde seiner Zeit, der Autor jongliert mit Rollenspielen, mit Ironie und Sarkasmus, als wollte er uns Heutigen (dank der Übertragung) zeigen, wie schön und lebendig Sprache sein kann.

Auch wenn es nicht verboten ist – die kleine Versammlung (was sind schon 150 Bücherfreunde gegen 25.000 Fußballfans?) war so etwas wie ein stiller Protest gegen die elektrische Unterhaltungsindustrie, eine Feier des Buches in einem beinahe nostalgisch anmutenden Tempel der Bücher.