Fehmarnbelt: Wachstum im Transit
Studie sagt keine positiven wirtschaftlichen Effekte einer Brücke in der Region voraus. Ostseebäder befürchten das Ende des Tourismus wegen lärmender Güterzüge. Handelskammern kündigen Positionspapier an.
Für Marlies Fritzen handelt es sich um Traumtänzerei. "Eine wirtschaftliche Belebung bleibt das Wunschdenken der Hansebelt-Träumer", sagt die grüne Abgeordnete im Kieler Landtag. Grund ist eine Studie der Hamburger Hanseatic Traffic Consultancy (HTC), wonach die Querung des Fehmarnbelts keine nennenswerten regionalwirtschaftlichen Effekte habe.
Die einzelnen Projekte hätten "kaum Potenzial, zu einer wirtschaftlichen Belebung der Region Ostholstein in größerem Umfang beizutragen", heißt es in dem HTC-Gutachten im Auftrag der Handelskammern von Hamburg und Lübeck. Damit sei klar, dass die Nachteile einer Querung des Fehmarnbelts überwiegen, findet Fritzen: "Die gebetsmühlenartig vorgetragene Litanei von den Vorteilen für unsere Region wird damit endgültig als das qualifiziert, was sie ist: billige Prosa aus dem Genre der Fantasy-Literatur", kommentiert die Ostholsteiner Politikerin.
In der Region zwischen Lübeck und dem jetzigen Fährhafen Puttgarden auf der Insel Fehmarn wächst der Widerstand gegen den Brückenschlag über die fast 20 Kilometer breite Meerenge nach Dänemark (siehe Kasten). Vor allem die Badeorte an der Lübecker Bucht und auf Fehmarn selbst fürchten um die Quelle ihres Wohlstandes: den Tourismus. Der Ausbau der Autobahn A 1 nördlich von Lübeck würde zu mehr Lärm in den Ostseebädern führen, befürchten sie.
In einem Staatsvertrag haben Deutschland und Dänemark 2009 die grundsätzliche Übereinkunft über eine Fehmarnbelt-Querung getroffen. Die Planung liegt bei der dänischen Realisierungsgesellschaft Femern A/S.
Zeitplan: 2013 könnte Baubeginn sein, Fertigstellung 2018.
Brücke oder Tunnel: Bis Ende 2010 soll eine Entscheidung fallen. Vorgesehen sind vier Fahrspuren für Autos und zwei Gleise für Züge.
Kosten: Femern A/S spricht zurzeit von mindestens 4,5 Milliarden Euro für eine Brücke und 5,5 Milliarden für einen Tunnel.
Finanzierung: Der dänische Staat bürgt für die Kredite privater Investoren. Die wollen ihre Ausgaben in etwa 30 Jahren amortisieren.
Landanbindungen: Sie sind Sache der beiden Staaten. Auf deutscher Seite werden die Kosten für den Ausbau der Autobahn A 1 und der Schienenverbindung zwischen Fehmarn und Hamburg auf bis zu 1,8 Milliarden Euro geschätzt
Vor allem aber der Ausbau der eingleisigen Bahnstrecke weckt Ängste: Auf einer mehrgleisigen Trasse würden dann ICEs und ICs sowie an die 200 Güterzüge von bis zu 800 Metern Länge durch die Seebäder rauschen. In einigen Orten verläuft die Strecke nur wenige hundert Meter vom Strand. "Den Lärm würde man im ganzen Ort hören", fürchtet Volker Popp, der parteilose Bürgermeister von Timmendorfer Strand: "Das ist das Ende des Tourismus." Laut Wirtschaftsstatistiken zieht Timmendorfer Strand über 90 Prozent der lokalen Wertschöpfung aus dem Fremdenverkehr, in den Nachbarorten ist die Lage ähnlich. "Volkswirtschaftliche Verluste von 400 bis 500 Millionen Euro im Jahr" prophezeit das Aktionsbündnis gegen eine feste Fehmarnbeltquerung.
Da sei es kein Wunder, findet Fritzen, wenn die Verfechter der Fehmarnbelt-Querung nun durch das HTC-Gutachten ein böses Erwachen erlebten. Jetzt sei ihnen "auch noch das letzte vernünftig klingende Argument für dieses gigantische Unsinnsprojekt ausgegangen". Die Lübecker Handelskammer erklärte, das Gutachten sei lediglich eine "Grundlage" für ein neues Positionspapier. Dieses werde "zeitnah veröffentlicht".
Wirtschaftspolitische Höhenflüge im westlichen Ostseeraum waren bereits im Juni vorigen Jahres auf der internationalen Fehmarnbelt-Konferenz "Building New Bridges" in Lübeck in Aussicht gestellt worden. Damals definierten Hamburg, Schleswig-Holstein, die dänischen Regionen Seeland und Kopenhagen sowie das südschwedische Schonen das gemeinsame Ziel einer "Wachstumsachse" entlang der Fehmarnbelt-Brücke und ihrer Hinterlandanbindungen von Hamburg und Lübeck über Fehmarn bis nach Kopenhagen und Malmö. "Der Bau der physischen Brücke beginnt 2012", prophezeite Bernd Rohwer, damals Geschäftsführer der Lübecker Handelskammer und früherer SPD-Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, "aber der Bau der mentalen Brücke beginnt heute".
Um das zu verhindern, wandelt sich das Aktionsbündnis gegen die Fehmarbelt-Querung nach 15 Jahren von einer Bürgerinitiative in einen eingetragenen Verein um. In den förmlichen Verfahren sei ihr sonst die juristische Einflussnahme verwehrt, erklärt der Vorsitzende Malte Siegert, Leiter des Wasservogelreservats Wallnau auf Fehmarn. Es sei jedoch wichtig, sich als anerkannter Umweltverein für das anstehende Planfeststellungsverfahren ein Klagerecht zu sichern.
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