Familienbetrieb Wagner-Festspiele: So verstehen Sie Bayreuth
Am Montag will der Stiftungsrat der Bayreuther Festspiele über die Nachfolge des Leiters Wolfgang Wagner entscheiden. Der Posten dürfte in Familienhand bleiben.
1. Sie verstehen die Aufregung nicht? Es geht um Deutschland!
Die Wagners sind die deutsche Königsfamilie. Die Monarchie mag lange abgeschafft sein, bei den Wagners kann jeder seine aristokratischen Sehnsüchte abladen. Mit allem, was dazu gehört: Licht und Schatten, Triumph und Scheitern, Genie und Kleingeisterei, Erbe und Verdienst, Leben und Tod, Klatsch und Tratsch.
Da gibt es verschiedene Familienzweige, die sich seit Generationen bekriegen. Es gibt einen schwer umkämpften Stammsitz, auf dessen Teppich die Vertreter der Bundesregierung einmal im Jahr ihre Aufwartung machen. Und es gibt einen Thron, der neu zu besetzen ist. Die britischen Royals sind nichts dagegen.
2. Am Montag wird der Stiftungsrat über eine neue Leitung entscheiden. Egal, was dabei herauskommt: Nichts wird so sein wie zuvor. Dieses Mal wirklich!
Am Montag geht es um alles. Was seit Jahren immer wieder behauptet wird, wenn in Bayreuth irgendwas entschieden wird, dieses Mal stimmt es. Ab Sonntag ist Wolfgang Wagner (89) nämlich kein Festspielleiter mehr. Wie im Frühjahr angekündigt, hat er sich nach 57 Jahren an der Spitze der Wagnerfestspiele zurückgezogen.
Das ist das eine. Zum anderen wollte Wagner eigentlich seine Tochter Katharina (30) als Nachfolgerin inthronisieren, das soll eine Bedingung seines Rückzugs gewesen sein. Ob es so kommt, ist aber offen. Denn mit Katharina und Eva Wagner-Pasquier (63) auf der einen und Nike Wagner (63) und Gérard Mortier (64) auf der anderen Seite bewerben sich nun zwei Gruppen. Es muss also wirklich etwas entschieden werden. Denn: ohne Leitung keine Festspiele.
3. Vertrauen Sie niemandem!
Alle sind im Konflikt um den Grünen Hügel Partei. Die FAZ möchte Nike Wagner und Gérard Mortier an der Festivalspitze sehen, um weiter an die Möglichkeit glauben zu können, dass sich Intellektualität und deutscher Mythos versöhnen lassen. Welt und Bild wollen Katharina und Eva als Nachfolgerinnen von Wolfgang. Argument: Nicht alles war schlecht.
4. Es gibt Unterschiede. Man muss nur daran glauben.
Niemand weiß so genau, worin sich die beiden Konzepte unterscheiden, außer der Stiftungsrat, dem die Papiere vorliegen. Grob kann man sagen: Katharina ist die Bewahrerin, Nike will erneuern. Katharina hat den Ruf der Bodenständigen. Sie begreift Bayreuth als mittelständischen Familienbetrieb, den man hier und da ein bisschen technisch modernisieren muss, der aber gut läuft, so lange schön gesungen wird und die Promis auf dem Teppich stehen.
Ganz anders Nike Wagner. Sie ist eine Intellektuelle, die versuchen dürfte, Bayreuth noch einmal neu zu erfinden. Mit Gérard Mortier hat sie sich einen Partner gesucht, der den Ruf eines erfahrenen Strukturen-Aufbrechers und Visionen-Entwicklers genießt.
5. Folgen Sie dem Geld.
Zu 60 Prozent finanzieren sich die Bayreuther Festspiele über die Einnahmen aus den Kartenverkäufen. Im Vergleich zu anderen Häusern ist das eine Menge. Den Rest der Kosten teilen sich die Bundesrepublik Deutschland, der Freistaat Bayern, die Stadt Bayreuth, die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth, die Bayerische Landesstiftung, die Oberfrankenstiftung und der Bezirk Oberfranken. Die sitzen auch im Stiftungsrat, dazu kommen Vertreter der Familie Wagner. Deutschland und Bayern haben dabei die meisten Stimmen. Alles in allem lag der Jahresetat 2007 bei 14 Millionen Euro.
6. Stellen Sie sich das Festivalgebäude als "Ring" vor.
"Wer ihn besitzt, den zehre die Sorge, und wer ihn nicht hat, den nage der Neid!" ("Rheingold")
7. Versuchen Sie gar nicht erst, die Verwandtschaftsverhältnisse zu verstehen. Sie sind sehr kompliziert.
Katharina ist die Tocher von Wolfgang, aus seiner zweiten Ehe mit Gudrun. Diese galt lange Jahre als eigentliche Chefin des Ladens, starb aber 2007 überraschend. Eva, Katharinas Verbündete, ist ihre Stiefschwester. Sie ist Wolfgangs Kind aus erster Ehe. Nach einem Streit mit ihrem Vater hatte sie dreißig Jahre lang Hausverbot in der Villa Wahnfried. Nike wiederum ist die Tochter von Wieland, Wolfgangs Bruder, der 1966 verstarb.
Wieland war das Genie, mit dem nicht zu rechnen gewesen war. Der Wagner-Enkel, dem als Regisseur das Kunststück gelang, die Festspiele nach dem Krieg neu zu erfinden. Winifred, die Mutter von Wieland und Wolfgang, soll Wielands Inszenierungen nur mit dem Gesicht zur Wand ertragen haben. Wolfgang und Wieland führten das Haus gemeinsam von 1951 bis zu Wielands Tod. Danach warf Wolfgang die Kinder von Wieland aus dem Haus. "Wenn der Oberförster stirbt, müssen die Kinder ausziehen", soll Winifreds Kommentar gewesen sein.
Winifred wiederum führte das Haus von 1930 bis zum Kriegsende. Sie wurde 1915 von Siegfried geheiratet, Richard Wagners Sohn. Siegfried wiederum war bei seiner Heirat schon 46 Jahre als, hatte bis dahin nicht allzu viel Interesse an Frauen gehabt und wurde von der Familie in die Ehe gedrängt, weil es an Nachwuchs fehlte. Auch damals gab es nämlich Streit um die Erbfolge. Siegfrieds Schwester Isolde hatte versucht, sich vor Gericht einzuklagen. Sie scheiterte allerdings. Isolde war zwar die Tochter von Richard, aber gezeugt wurde sie, als Cosima, Richards spätere Frau, noch mit Hans von Bülow verheiratet war, Richards Freund und Mitarbeiter.
7. Nicht den Führer vergessen!
Bayreuth war von Anfang an ein Ort der deutschnationalen Selbstvergewisserung. Richard Wagner selbst hatte mit "Das Judentum in der Musik" den Ton vorgegeben, seine Frau Cosima und sein Sohn Siegfried verschärften ihn noch. Winifred wiederum lernte Adolf Hitler 1923 kennen und war bald eng mit ihm befreundet. Ab 1930 leitete sie die Festspiele, für ihre Söhne Wieland und Wolfgang war Hitler "Onkel Adolf".
Hitler fühlte sich den ästhetischen Vorstellungen Wagners tief verbunden, die Ästhetisierung der Politik im Dritten Reich hätte ohne das Werk Wagners anders ausgesehen. Das wirkt bis heute. Francis Ford Coppola mag den "Ritt der Walküre" in seinem Film "Apocalypse Now" eingesetzt haben - die größte "Götterdämmerung" haben die Nazis mit dem zweiten Weltkrieg veranstaltet. Was die Oper bis heute so unheimlich macht. Echte Wagnerianer meinen es nämlich todernst.
8. Begreifen Sie die Familie Wagner als Gesamtkunstwerk.
Opern hin, Opern her: Das größte Kunstwerk Richard Wagners ist seine Familie. "Das große Gesammtkunstwerk", schrieb er in "Die Zukunft des Kunstwerks", solle "alle Gattungen der Kunst umfassen, um jede einzelne dieser Gattungen als Mittel gewissermaßen zu verbrauchen, zu vernichten zu Gunsten der Erreichung des Gesammtzweckes aller, nämlich der unbedingten, unmittelbaren Darstellung der vollendeten menschlichen Natur". Andere Beispiele: "Denver-Clan", "Die Feuersteins".
9. So oder so: Wagner kommt ins Internet.
Dieses Jahr hat es angefangen. Für 49 Euro konnte man sich die Neuinszierung des "Parsifal" als Stream im Netz anschauen. Bizarrerweise beschränkt auf 10.000 Teilnehmer, als gäbe es im Internet nur beschränkt Platz. Tatsächlich soll die Aktion gefloppt sein. Aber es dürfte trotzdem kein Zurück geben: Der Meister hätte es so gewollt.
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