Falschinformationen: Amtliche Wahrheiten
Gleich mehrmals hat Bremens Bildungsbehörde öffentlich die Unwahrheit erzählt. Alles ohne "Täuschungsabsicht", sagt die SPD-Senatorin.
Der Verdacht steht im Raum. Das Misstrauen, es ist geweckt. Auch wenn am Mittwoch noch niemand das böse Wort von der "Lüge" in den Mund nehmen oder gar personelle Konsequenzen fordern mochte, nicht einmal die schwarz-gelbe Opposition im bremischen Landtag. Und doch hat das Bildungsressort von Renate Jürgens-Pieper (SPD) jetzt mehrmals, kurz hintereinander öffentlich die Unwahrheit erzählt. Erst der Bürgerschaft. Jetzt den Eltern behinderter Kinder.
Das ist "kein Einzelfall", sagt die FDP. Das ist "kein Kavaliersdelikt", sagt die CDU. Zunächst ging es nur um Cito, den Sprachstandstest für Vierjährige. Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) habe ihn als gut und leistungsfähig bewertet, schrieb die Bildungsbehörde, als Antwort auf eine Anfrage der CDU. Das DJI hatte dazu aber gar nichts gesagt, jedenfalls nicht in Bezug auf die Bremen verwandte einsprachige Variante. Sondern, ganz im Gegenteil, den Test in Teilen als "nicht zuverlässig genug" eingestuft. Dabei sind FDP und CDU gar nicht grundsätzlich gegen einen Test. Dennoch hatten sie eine Aktuelle Stunde beantragt. Thema: "Die Bildungssenatorin und die Wahrheit".
Ein Gegensatzpaar? Eine Frage, die just zum gestrigen Tag der Parlamentsdebatte neue Berechtigung erfuhr. Das Bildungsressort, so wurde bekannt, hatte sich auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes berufen, die jedoch völlig anders ausgefallen war, als vom Ressort behauptet. In der Klage ging es um die Frage des gemeinsamen Übertritts von behinderten und nicht-behinderten Kindern aus der Grundschule in Klasse 5. Das Gericht habe genau den gekippt, hieß es aus der Bildungsbehörde, mit Verweis auf den Gleichheitsgrundsatz.
Doch das Gericht, so stellte sich heraus, hatte zum einen gerade diese Kooperationsklassen gestärkt und zum anderen gar nicht über die Frage der Gleichbehandlung befunden. Von einer Verpflichtung zur Abkehr von der bisherigen Praxis könne keine Rede sein, so das Gericht: "Wir sagen das Gegenteil." Im übrigen will man den Fall nicht weiter kommentieren. Das Bildungsressort selbst verwies gestern Abend darauf, dass der Fall auch juristisch "wesentlich komplexer" sei als dargestellt.
Jürgens-Pieper räumte gestern im Parlament "Versäumnisse" ein und entschuldigte sich. "Fahrlässigkeit" indes mochte sie nicht erkennen, und schon gar keine "Täuschungsabsicht". In der Frage des Cito-Tests sei ihr Haus lediglich "fachlich unpräzise" gewesen, und der Kollege, der die Antwort formulierte - er habe mittlerweile um "dienstliche Konsequenzen" gebeten - ebenso untadelig wie kompetent. Die SPD findet die Vorfälle zwar "ärgerlich", aber andererseits sei das alles ja auch "kein Weltuntergang". Noch zurückhaltender war die Linke - sie mochte dazu im Parlament gar nichts sagen.
Die CDU indes sieht "Nachbesserungsbedarf". Und die Zentrale Eltern Vertretung (ZEV) weiß auch wo: Jene Eltern, die die Falschinformation beim Cito-Test aufgedeckt hatte, warteten immer noch auf eine Entschuldigung. Ganz abgesehen davon, dass die Behauptung der Behörde, die ZEV sei in Sachen Cito angemessen angehört worden, auch unwahr sei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!