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Fahrt zum HbfTrambahn mit Hindernissen

Die Tram M5 fährt jetzt bis zum Hauptbahnhof. Nur mit der Barrierefreiheit hapert es noch auf der neuen Teilstrecke.

M5: aus der Straßenbahn in den ICE. Bild: dpa

Von Routine konnte am Montagmittag noch nicht die Rede sein auf der neuen Teilstrecke der Straßenbahn M5 zum Hauptbahnhof. In der Chausseestraße hatte ein Lieferwagenfahrer sein Fahrzeug mitten auf den Gleisen abgestellt, offenbar in der Annahme, diese würden nicht genutzt. Der Wutausbruch des Tramfahrers folgte auf dem Fuß: „Ey, mach hinne, Püppi, nimm das Ding weg!“, brüllte er den Lieferanten an. Das wirkte.

Behindert werden aber nicht nur die Bahnen selbst auf dem nagelneuen, keine zwei Kilometer langen Abschnitt, dessen Planung und Bau ganze acht Jahre gedauert haben. Auch mit der Barrierefreiheit für Menschen im Rollstuhl ist es nicht zum Besten bestellt – dabei hatte man alle Zeit der Welt, ein wirklich befriedigendes Ergebnis zu erreichen.

Bei der BVG glaubt man sogar, dass das gelungen ist: Nur Züge des „Flexity“-Niederflurmodells führen auf der Strecke, heißt es aus dem landeseigenen Unternehmen, und der Höhenunterschied zwischen Bahnsteig und Tram betrage maximal 1,5 Zentimeter. Insofern sei das „100 Prozent barrierefrei“. Die Überprüfung durch die taz ergab jedoch ein etwas anderes Bild.

Die erste M5 in Richtung Hauptbahnhof, die an der Haltestelle Oranienburger Tor einrollt, ist eine modernisierte Tatra-Bahn aus DDR-Zeiten: Hinein gelangt man nur über hohe Stufen. Also warten. Die Tram zehn Minuten später ist dann tatsächlich eine Flexity. Diese Züge haben einen flachen Einstieg und an einer der vorderen Türen zudem eine Klappe, über die auch ein ungeübter Rollstuhlfahrer die Stufe zum Bahnsteig überbrücken kann. Wenn kein Bahnsteig vorhanden ist, steht eine elektrische Heberampe zur Verfügung.

Das Non-plus-ultra der Barrierefreiheit ist das trotzdem nicht: Schließlich muss jedes Mal der Fahrer aktiv werden, ohne Hilfe kann das Angebot also nicht wahrgenommen werden. Dies ließe sich verhindern, indem man das gleiche Niveau von Fahrzeug und Bahnsteig gewährleistet. Genau das ist der BVG offensichtlich nicht gelungen: An den neuen Haltestellen Naturkundemuseum, Invalidenpark, Hauptbahnhof sowie an der Endhaltestelle Lüneburger Straße in Moabit beträgt der Unterschied vier bis fünf Zentimeter. Und an der Haltestelle Lesser-Ury-Weg gibt es überhaupt keinen Bahnsteig: Zwischen Tram und Bürgersteig verläuft die Auto-Spur.

Noch eine kleine Pointe gefällig? Während die älteren Flexity-Bahnen nur im ersten Wagen Stellplätze für Rollstühle bereithalten, bietet das ebenfalls eingesetzte Modell „F8Z“ auch welche im hinteren Teil an. Das ist gut. An der Haltestelle Lüneburger Straße jedoch ist der Bahnsteig nicht einheitlich hoch, sondern fällt nach hinten ab. Dadurch wird die Stufe zur Tram noch viel höher – und die zweite Rampe der F8Z liegt dummerweise auf der anderen Seite des Wagens, für den Fall, dass die Bahn ohne Wendeschleife die Richtung wechselt.

Alles ein wenig vermurkst also. Raúl Krauthausen, Erfinder der Barrierefreiheit-App Wheelmap und selbst Rollstuhlfahrer, hat die Strecke noch nicht getestet, hält die von der taz gemessenen Höhenunterschiede aber auch für problematisch. „Es kommt dann sehr auf den Rollstuhl an, ob man das ohne Hilfe schafft“, weiß er. Er glaubt, dass man in der gegebenen Zeit eine bessere Lösung hätte finden können, hat aber auch etwas Nachsehen mit der BVG: „In anderen Städten ist die Situation bei der Straßenbahn viel schlimmer als hier.“

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6 Kommentare

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  • @Raul Krauthausen: Falsch, es kommt nicht allein auf den Rollstuhl, sondern auch auf dessen "Inhalt" an, ob ein Ein-/Ausstieg gelingt. Was nützt es, einen leichten Rollstuhl zu fahren, wenn die/der RollstuhlnutzerIn eine solche Stufe nicht schafft? Allgemein: Barrierefreiheit heisst, dass ich den Ein-/Aussstieg selbstverständlich alleine schaffe. Ich will Kundin, nicht Bittstellerin sein. Dazu gehört, dass ich mich nicht anfassen lassen muss, nur weil ich von A nach B will.

  • Fortsetzung 2 (Leserbrief umfasst drei Teile) zu den letzten beiden Teilen 1 und 2 des Leserbriefes:

    Die Wissenschaftliche Fachbibliothek Bauen, Wohnen und Verkehr der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr gibt es ebenfalls nur noch als Gerippe. Die Leiterin der Gerippe-Bibliothek von SenStadt ist vor einigen Jahren in Ruhestand gegangen. Seitdem gibt es also selbst bei SenStadt keine Entscheidungsgrundlagen auf Basis wissenschaftlicher Fachinformation und wissenschaftlicher Fachbibliothek(ar/innen).

    Die Verdummung ist also hausgemacht und offensichtlich gewollt.

    Und noch etwas zu Krauthausen: Dass Krauthausen mit der ärmlichen Antwort, in anderen Städten sei es noch viel schlimmer als in Berlin mit dem ÖPNV, kann kein Argument dafür sein, dass in Berlin dumme Entscheidungen bei der BVG und bei SenStadt getroffen werden. Das käme einem Freifahrtsschein für die BVG und SenStadt gleich, hausgemachte, freiwillig praktizierte Dummheit weiter zu praktizieren. Krauthausen hat offensichtlich null Ahnung und null Wissen von wissenschaftlicher Fachinformation und vom wissenschaftlichen Bibliothekswesen, was die beiden wissenschaftlichen Disziplinen (für die Allgemeinheit) zu leisten vermögen.

  • Fortsetzung 2 von 3 Teilen zum Leserbrief:

    Die BVG hat ihre wissenschaftliche Fachinformation und ihre wissenschaftliche Fachbibliothek abgeschafft. Es kann BVG-seitig also nur noch orakelt werden, welche Fahrzeuge und welche Fahrzeugtechnik sich eignet, um alle Sorten von Fahrgästen von A nach B zu fahren.

    Der Berliner Senat (unter der Verantwortung des damaligen Senators Flierl, Die Linke) hat die Senatsbibliothek von Berlin abgeschafft, denn diese existiert nur noch als Gerippe / Rudiment innerhalb der Stiftung Berliner Stadt- und Landesbibliothek. Und was mit der gemacht werden soll, hat neulich die taz berichtet: dass aus einer wissenschaftlichen Allgemeinbibliothek mit Hilfe von zwei Profs (die sind, nehme ich an, des [verstehenden] Lesens komplett unkundig und gehörten entlassen) eine Ramsch'bibliothek' werden soll, mit professoraler Reminiszenz an die Bücherverbrennung von 1933; denn was ist ein Schreddern von Bibliotheksbeständen anderes als eine Bücherverbrennung ohne Erzeugens von Rauch und Feuer?

  • Teil 1 von 3 Teilen eines Leserbriefes:

    Das Problem ist, dass bei der BVG nur Eine offensichtlich das Sagen hat: die Vorstandsvorsitzende Nikutta. Aber Frau Nikutta kann gar nicht alles wissen, schon allein deshalb nicht, da sie bloß Wirtschaftspsychologin ist und keine Tram- noch Busfahrerin noch U-Bahn-Fahrerin.

    Die BVG hat sich ihre Entscheidungsgrundlage (mit der wissenschaftlich auf den Bedarf der BVG heruntergebrochen) eruiert werden kann, wie Haltestellen ausgestattet sein müssen, dass die allen Fahrgästen Genüge tragen und wie Fahrzeuge ausgestattet sein müssen, um den Einstiegs- und Ausstiegsbedürfnissen aller Fahrgäste Rechnung zu tragen und auch dem (freilich sehr oft mürrischen und Arbeitsverweigerung tätigenden) Fahrpersonal rundherum (auch aus Arbeitssicherheitssicht) Genüge tragen.

    (Teil 2 folgt)

  • äh, mal ne Frage: welche Stadt ist gemeint!

    • @Georg Schmidt:

      Welche Stadt könnte gemeint sein, wenn der Artikel im BERLIN-Teil angesiedelt ist?

       

      Fängt mit B an und ist nicht Bonn.