■ Fahnentragen als Signal fürs Ehrenamt: Abstieg für Deutschland
Nach vielen Diskussionen hatte man ihn doch noch gefunden. Der Fechter Arnd Schmitt durfte die deutsche Fahne beim Einmarsch der ebenfalls deutschen Athleten ins Olympiastadion von Atlanta tragen. Ein siebenköpfiges Gremium, welches sich aus hauptamtlichen Sportfunktionären zusammensetzte, hatte ihn für dieses Ehrenamt ausgewählt.
Nun ist der Fechter allerdings kein typischer Amtsträger, weil sich die rund acht Millionen Ehrenamtlichen der Republik hauptsächlich aus älteren Frauen rekrutieren, deren Tätigkeit sich nicht darin erschöpft, einige Minuten eine schwarzrotgoldene Fahne in der Gegend rumzutragen. Das Ehrenamt zeichne sich durch eine „Kultur des Helfens“ aus, behauptet der Vorsitzende der Kommission Ehrenamt der CDU/CSU- Fraktion Klaus Riegert. Und diese Kultur hat weniger mit Imagegewinn zu tun, sondern vielmehr mit freiwilligem sozialem Engagement, welches in der Regel mit einem feuchten Händedruck entlohnt wird.
Die möglichen Tätigkeitsbereiche eines beziehungsweise einer Ehrenamtlichen liegen quasi auf der Straße. Frau kann sich beispielsweise als Streetworkerin versuchen, während mann freiwillig nach Dienstschluß Streifengänge durch sein Wohnviertel unternimmt, damit Ruhe und Ordnung in der Siedlung gewährleistet ist. Wer zuviel Zeit hat, mit der er oder sie nichts anzufangen weiß, und wem auf Anhieb kein Betätigungsfeld einfällt, kann sich an eine Art Kontaktbüro wenden, welches ehrenamtliche Tätigkeiten vermittelt.
Noch nie stand den Menschen in der Bundesrepublik Deutschland soviel freie Zeit für ehrenamtliche Tätigkeiten zur Verfügung wie heute. Doch was nützt dieser vorhandene Freiraum, der zwar sinnvoll verbracht werden kann, aber dann nur mit einem Händedruck entlohnt wird? Wie kann man also die Millionen von Arbeitslosen und SozialhilfeempfängerInnen dazu bringen, „freiwilliges soziales Engagement modernen Zuschnitts“ (Riegert) aufzubringen? Die althergebrachten Vorschläge und Forderungen bringen derzeit nicht weiter. Kostenerstattung und rentenrechtliche Anerkennung ehrenamtlicher Tätigkeiten sind nicht zu realisieren.
Die Zeichen der Zeit hat eindeutig Walther Tröger, der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, erkannt. Mit der Nominierung des ehemaligen Aktivensprechers Schmitt wurde nämlich „ein Signal für das Ehrenamt“ gesetzt. Nur wer sich engagiert, darf auch die deutsche Fahne hochhalten. Schmitt fühlte sich sehr geehrt, währenddessen sein härtester Mitkonkurrent Elmar Borrmann anschließend stinkesauer war, hätte er doch auch gern das Fähnlein getragen. Sportlich zahlte sich das Fahnenschwingen nicht aus. Beide schieden frühzeitig aus. Nur, Schmitt war bei seinem unfreiwilligen Absturz von der Planche einfach besser drauf als Borrmann.
Nutzen wir also die olympische Gold-für-Deutschland-Stimmung und versorgen alle Ehrenamtlichen mit schwarzrotgoldenen Buttons: Ein Run auf das nunmehr sinnstiftende Ehrenamt wird die logische Folge sein. Der weitere soziale Absturz läßt sich damit zwar nicht vermeiden, aber es ist dann immerhin ein Abstieg für Deutschland. Michael Bolten
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