Fachkräftemangel in Deutschland: Gute Leute müssen rein
Die Regierung will ausländische Fachkräfte ins Land locken. Nach Berechnungen fehlen 70.000 Ingenieure. Die Einkommenshürde für Bewerber sinkt auf 63.000 Euro pro Jahr.
BERLIN taz Es sollen mehr hochqualifizierte, junge Fachkräfte nach Deutschland gelockt werden. Jetzt herrscht angeblich Einigkeit bei den Ministerien von Olaf Scholz und Wolfgang Schäuble.
Mitte Oktober wird der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) auf Hochschulmessen in Schanghai und Peking um chinesische Hi-Potentials buhlen. Dann werden die DAAD-Werber zwei Trümpfe vorzeigen können: Erstens wird das Arbeitsamt keine gesonderte Bedarfsprüfung der zuwandernden Ingenieure vornehmen - sofern diese mindestens 63.000 Euro jährlich verdienen. Zweitens soll ein neuer Führungskräfteindex Auskunft geben, welche Akademiker gebraucht werden.
Ein Sprecher des Arbeitsministeriums bestätigte der taz, dass das Gesamtkonzept noch diesen Sommer beschlossen werde. Er betonte die Notwendigkeit einer erleichterten Zuwanderung für Fachkräfte, um insbesondere dem Ingenieurmangel entgegenzuwirken. Gewerkschaften und Arbeitgeber begrüßten die Regelung.
Derzeit fehlen nach jüngsten Berechnungen über 70.000 Ingenieure in Deutschland. Ein Großteil der Betriebe kämpft zudem mit einer alternden Belegschaft. Bei Thyssen Krupp Steel etwa wird das Durchschnittsalter der Arbeitnehmer laut einer internen Studie bis 2020 auf 55 Jahre steigen. Derzeit sind Stahlkocher bei Thyssen im Schnitt 44 Jahre alt. Das Unternehmen reagiert mit Arbeitszeitverkürzungen plus Neueinstellungen junger Leute. Andere Betriebe setzen auf ausländische Fachkräfte.
Ein zentraler Punkt der neuen Pläne ist, jeden Monat Auskunft zu erhalten, ob und wieviele hochqualifizierte Arbeitskräfte deutsche Betriebe benötigen. In Anlehnung an den Ifo-Geschäftsklimaindex soll ein Arbeitskräfteindex den Bedarf für sechs Monate im Voraus zeigen. Der neue Index soll so detailgetreu wie bei Thyssen den demografischen Wandel in den Einzelbetrieben feststellen.
Zudem soll der Arbeitsmarkt für Akademiker aus Drittstaaten attraktiver werden: Zum einen sollen geduldete Hochschulabsolventen beziehungsweise Facharbeiter schon nach zwei Jahren im Beruf eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten. Zum anderen wollen die Minister die Mindesteinkommensgrenze, ab welcher der ausländische Akademiker einer Prüfung durch die Bundesagentur für Arbeit entgeht, um 22.800 Euro auf 63.600 Euro senken.
DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach begrüßte eine Absenkung der Hürden, da dies in einer internationalen Wirtschaft sinnvoll sei. Es entspräche einer alten DGB-Forderung, dass in Deutschland ausgebildete Studenten auch hier arbeiten würden. "Allerdings soll dies nicht als Ausrede der Wirtschaft gelten, bei der betrieblichen Ausbildung nachzulassen." Insbesondere Altbewerber müssten weiter gefördert werden.
Die Wirtschaft wiederum treibt die gegenteilige Sorge. Sie kann angeblich Ausbildungsstellen im Osten nicht besetzen. Der Generalsekretär des Deutschen Handwerks, Hanns-Eberhard Schleyer, will daher auch bei Auszubildenden im Ausland auf Suche gehen - etwa bei Jugendlichen aus Polen und Tschechien. Gleichzeitig appellierte er an die Politik, dass sich die Qualität der Schulbildung verbessern müsse. In diesem Jahr wird laut Industrie- und Handelskammern mit einem Rekord an Ausbildungsverträgen gerechnet.
Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) sieht die Lage auf dem Ausbildungsmarkt trotz sinkender Schulabgängerzahlen und trotz des hohen Lehrstellenangebots kritisch. "Die ganze Wahrheit ist, dass es eine große Zahl von Altbewerbern gibt, die nach wie vor keine Chance bekommen", sagte er der Welt am Sonntag. "Uns fehlen pro Jahr 100.000 bis 200.000 Ausbildungsverträge."
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