FÜR ECHTEN FRIEDEN BRAUCHEN SERBIEN UND KROATIEN MUT ZUR WAHRHEIT : Erinnerung an die eigenen Verbrechen
Die Wiedereroberung der „Serbischen Republik Krajina“ vor elf Jahren war das legitime Recht des kroatischen Staates. Das bestreitet heute kaum noch jemand. Schließlich hatten serbische Truppen zuvor mehr als ein Drittel Kroatiens besetzt, ganze Landstriche verwüstet und die nichtserbische Bevölkerung von dort vertrieben. Serbien hat Kroatien angegriffen – nicht Kroatien Serbien. Und dann den Krieg verloren. Trotzdem sieht man sich in Serbien heute nur als Opfer. Angesichts der Tatsachen aber müssen alle Versuche aus Belgrad, die kroatische Militäraktion zur Wiedereroberung des Landes 1995 als „das größte Verbrechen des Krieges in Kroatien“ zu brandmarken, ins Leere laufen.
Doch nicht nur die unversöhnlichen Töne aus Serbien hinterlassen heute einen faden Beigeschmack. Auch die Kroaten hätten allen Grund, in sich zu gehen. Die Flucht der serbischen Bevölkerung aus den besetzten Gebieten nach dem kroatischen Angriff 1995 verlief eben nicht ohne Opfer. Nach den Kampftruppen rückte eine „zweite Linie“ vor, die Rache an zurückgebliebenen alten Menschen und serbischem Eigentum nahm. Auch das müsste bei den Gedenkveranstaltungen in Kroatien zur Sprache kommen – nicht nur der Protest dagegen, dass sich der damalige kroatische Kommandant Ante Gotovina heute vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal verantworten muss.
Doch an die „eigenen Verbrechen“ von Kroaten und Serben erinnern auf beiden Seiten heute einzig eingefleischte Oppositionelle. Ihnen ist bewusst, dass Frieden nicht einfach so über die Menschen kommt. Zwar ist es trotz allen Wortgeplänkels der Politiker für viele normal geworden, mit kroatischer Autonummer nach Belgrad oder mit serbischer nach Zagreb zu fahren. Ein Teil der damaligen serbischen Flüchtlinge ist nach Kroatien zurückgekehrt, alle haben ihr Recht auf Eigentum geltend machen können. Auch auf wirtschaftlichem Gebiet kooperieren beide Staaten längst. Aber: Echter Friede wird erst dann herrschen, wenn beide Gesellschaften die volle Wahrheit über den Krieg akzeptieren. Was in Serbien noch schwerer fällt als in Kroatien. ERICH RATHFELDER