FU-Präsident geht: Freie Uni wird Lenzenfrei
Der Präsident der Freien Universität nimmt seinen Hut - und geht nach Hamburg. Dort hatte es bereits im Vorfeld Proteste gegen den autoritären Wirtschaftsfreund gegeben.
Der umstrittene Unipräsident Dieter Lenzen kommt einer Urabstimmung zuvor: Er verlässt Berlin vorzeitig und wird neuer Präsident der Universität Hamburg. Die Studierenden hatten bereits 2.100 Unterschriften beisammen - notwendig wären 3.500 gewesen. Das Ergebnis der Abstimmung wäre allerdings nicht verbindlich gewesen. Seit dem Sommer hatten die Studierenden gesammelt.
Die Entscheidung fiel am Freitagnachmittag: Der Hamburger Hochschulrat stimmte einstimmig für Lenzen, den einzigen Kandidaten. Der Akademische Senat folgte mit 14 Ja-, zwei Nein-Stimmen und einer Enthaltung. "Wir sind davon überzeugt, dass es Professor Lenzen gelingen wird, die Stärken der Universität sichtbar zu machen und sämtliche Mitglieder bei diesem Neuanfang mitzunehmen", wird der Akademische Senat in einer Pressemitteilung der Universität zitirert. Dieter Lenzen scheint ebenfalls zufrieden: "Ich bin außerordentlich beeindruckt von dem überwältigenden Ergebnis in den beiden Entscheidungsgremien." Die taz hatte als erste Zeitung vor einer Woche exklusiv gemeldet, dass Lenzen als Hamburger Uni-Präsident im Gespräch ist.
"Für uns ist es ein Erfolg, dass er hier weg ist", sagt Mathias Bartelt, Mitglied im Akademischen Senat und in der AG "Dieter Lenzen - not my president", die die Unterschriftenaktion ins Leben gerufen hat. Allerding sei der Wechsel nach Hamburg nur ein Teilerfolg: "Mein Beileid an die Studierenden in Hamburg."
Ziel sei es gewesen, dass Lenzen in Hamburg auch nicht gewählt würde. Um dies zu erreichen, arbeiteten die Studierenden in den vergangenen Tagen an beiden Hochschulen verstärkt zusammen, um Lenzens Präsidentschaft sowohl in Hamburg zu verhindern als auch in Berlin zu beenden. Milan Lorenz, Aktivist der AG und Mitglied der Antifaschistischen Linken Liste an der FU ergänzt: "Was er sich an der FU geleistet hat, disqualifiziert ihn überall."
Die Studierenden werfen Lenzen vor, die FU vor allem nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten auszurichten, etwa durch die Schließung von Lehrstühlen und Zusammenlegung von Einrichtungen wie Mensen und Bibliotheken. Zudem kritisieren sie, dass er die Interessen der Studierenden bewusst ignoriere sowie deren Mitbestimmung in Universitätsgremien behindere. Darüber hinaus zeichne Lenzen dafür verantwortlich, die Reinigungsarbeiten an Billigllohnfirmen vergeben zu haben.
Um Lenzens Wechsel nach Hamburg zu verhindern, war bereits am Mittwoch ein Mitglied der Berliner Anti-Lenzen-Kampagne nach Hamburg gereist, um die dortige Studierendenschaft darüber zu informieren, was sie von einer Hochschulpolitik à la Lenzen zu erwarten hätten.
Entsprechend zeigten sich am Freitag auch die Reaktionen der Studierenden in Hamburg. Laut dem Hamburger Student Stephan L. bemängelt die dortige Studierendenschaft vor allem das "nicht demokratische Wahlverfahren".
Ihre Haltung zeigten die Studierenden bereits am Donnerstag: An der öffentlichen Sitzung des Akademischen Senats, auf der Lenzen sich vorstellen sollte, nahmen über 1.000 Studenten teil. Die Sitzung wurde auf Druck der Studentinnen und Studenten daraufhin ins besetzte Audimax verlegt anschließend aber abgebrochen.
Nach taz-Informationen wurde eine daraufhin spontan einberufene Sitzung des Hochschulrats und Senats mit Lenzen in einem benachbarten Gebäude von rund 20 Lenzen-Gegnern gestört. Der designierte Präsident resignierte - und brach seinen Vortrag ab. Die Meldung, Lenzen habe seine Kandidatur zurückgezogen, erwies sich gestern Nachmittag als falsch.
Offen bleibt, wie es nun an der FU weitergeht. Vermutungen über eventuelle Nachfolger wollte gestern noch niemand anstellen. "Wahrscheinlich wird es in der nächsten Woche eine Sondersitzung des Senats geben und eventuell vorgezogene Neuwahlen", meint Mathias Bartelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen