FMLN-Offensive in El Salvador

Größte Offensive seit 1981 / Cristiani verhängt das Kriegsrecht / Heftige Kämpfe in den Armenvierteln  ■  Ralf Leonhard aus Managua

Im Zuge der größten Offensive in El Salvador seit fast neun Jahren konnte die Befreiungsfront Farabundo Marti (FMLN) am Sonntag ganze Stadteile unter ihre Kontrolle bringen und sogar eine Art „befreites Gebiet“ am Nordrand der Hauptstadt schaffen, von dem aus der Generalstab die Aktionen koordinierte.

In einem über den Rebellensender 'Radio Venceremos‘ verlesenen Kommunique verhängte das FMLN-Oberkommando ab Montag einen totalen Transportboykott, der durch die Anweisung an alle Tankstellenbetreiber, die Zapfsäulen umgehend zu sperren, verschärft wurde. An die Zivilbevölkerung in der Nähe von Militäreinrichtungen erging die Aufforderung, „diese Zonen zu räumen, da es sich um Kampfschauplätze handelt“. Die Elektrizitätsarbeiter werden davor gewarnt, gesprengte Stromleitungen wieder instand zu setzen, „denn die Masten sind vermint“.

Präsident Cristiani, der einem Attentat auf seine Residenz unbehelligt entgangen war, erklärte am Sonntag über die gleichgeschalteten Rundfunksender, die Situation sei völlig unter Kontrolle. Wenig später ordnete er allerdings eine nächtliche Ausgangssperre an und kündigte die Verhängung des Kriegsrechts an. Der internationale Flughafen ist seit Samstag nacht geschlossen.

Die regennassen Straßen von San Salvador gehörten am Sonntag den Stadtkommandos der FMLN, die keine Uniformen tragen und daher besonders leicht untertauchen können. So jagte die Luftwaffe ihre Hubschrauber los, die mangels erkennbarer Ziele ihre Maschinengewehre und Raketen wahllos über dichtbewohntem Gebiet abfeuerten. Dabei wurden mehrere Zivilisten verletzt oder getötet. Auf dem Fortsetzung auf Seite 6

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Universitätsgelände gingen Militärs mit Panzern gegen eine Gruppe von Studenten vor, die der Zusammenarbeit mit der Guerilla verdächtigt wurden. Ein US-Amerikaner wurde getötet, ein Dutzend Studenten und Professoren festgenommen.

Die Offensive trägt den Namen „Faschisten raus - Febe Elisabeth lebt“ - nach der Gewerkschaftsführerin Febe Elisabeth Velasquez, die am 1. November bei einem Bombenanschlag eines rechten Terrorkommandos umgekommen ist. In einer Zwischenbilanz meldete die FMLN, sie hätte ein Flugzeug und drei Hubschrauber sabotiert und zwei weitere Helikopter abgeschossen. 400 Soldaten sollen laut Radio Venceremos getötet oder verletzt worden sein. Amtliche Stellen gaben eine Zahl von mindestens 139 Toten und Verwundeten zu. In den Spitälern wurden Sonntag mehrere hundert Zivilpersonen mit Schußverletzungen behandelt.

Während sich die erste Angriffs

welle am Samstag abend gegen etwa zwanzig überwiegend militärische Ziele in allen Teilen der Hauptstadt gerichtet hatte, konzentrierten sich die Straßenkämpfe im Laufe des Sonntags vor allem auf den Norden und Nordwesten von San Salvador. In Bezirken wie Zacamil, Ayutuxtepeque und Mejicanos, wo die Rebellen über starken Rückhalt in der zumeist armen Bevölkerung verfügen, wurden Barrikaden aus abgefackelten Fahrzeugen errichtet und ganze Stadtteile abgesperrt. Aus Zacamil wurden am Sonntag Kämpfe von Haus zu Haus gemeldet, die erst im Laufe der Nacht auf Montag abebbten.

„Unsere Kämpfer sind jetzt ganz nahe bei euch, näher als je zuvor“, verkündete Radio Venceremos. Der Rebellensender wurde für viele zur einzigen Informationsquelle, nachdem die legalen Sender gleichgeschaltet wurden und ständig die monotonen Beschwichtigungsbotschaften der Militärs wiederholten.

Gleichzeitige Attacken auf die Militäreinrichtungen der Provinzhauptstädte San Miguel, Usulutan, Zacateculuca, Chalatenango und San

Vicente dürften in erster Linie dazu gedient haben, die Streitkräfte zu binden. An mehreren Punkten konnte die Guerilla die Panamericana und andere wichtige Verbindungsstraßen absperren und die Entsendung von Verstärkungstruppen verhindern. In San Miguel, der wichtigsten Stadt im Osten des Landes, tobten Sonntag nacht noch heftige Kämpfe.

Das Szenarium gleicht dem der Großoffensive vom Januar 1981, mit der der Bürgerkrieg seinen Anfang nahm. Anders als damals vermeiden es die Rebellen jedoch, triumphalistisch von einer „Endoffensive“ zu sprechen. Die Bevölkerung wird zwar aufgefordert, sich den Aktionen gegen die Militärs anzuschließen. An die Soldaten ergeht der Aufruf, die Seite zu wechseln. Dennoch hält das Oberkommando die Türe für Verhandlungen mit der Regierung offen. Die FMLN sei bereit, die kürzlich abgebrochenen Verhandlungen mit der Regierung wieder aufzunehmen, wenn die rechtsextreme Regierung „die Repression gegen die Bevölkerung einstellt“, heißt es in einer Botschaft.