FIESE VIREN ZU HAUSE, RIMINI PROTOKOLL IM DEUTSCHLANDFUNK UND MOTÖRHEAD VOR 9.000 FANS IN DER MAX-SCHMELING-HALLE : Schlimmer als Ebola
VON ULRICH GUTMAIR
Die Ohren pfeifen, und alles stinkt nach Bier. Das ist der Höhepunkt und gute Abschluss einer Woche, die von einem dieser neuen Viren regiert wurde. Erst verschleimte Bronchien, Dröhnen im Kopf und alle vier Stunden das dringende Gefühl, nur noch schlafen zu wollen. Nach zwei Tagen Probleme im Verdauungstrakt. Da liest man den großen Ebola-Report in der Wochenendausgabe noch mal ganz anders. Bei Wikipedia heißt es, dass die Schädigung seines Reservoirwirts kein vorteilhafter Effekt für ein Virus sei, da er zur eigenen Vermehrung auf denselben angewiesen ist.
Der Vorteil des bedröhnten Rumliegens besteht immerhin darin, dass man sich in Ruhe im Netz umschauen kann. Wenn man nach Motörhead sucht, findet man schnell einen Clip, in dem man Lemmy Kilmister mit einem deutschen Jagdpanzer 38(t), liebevoll „Hetzer“ genannt, im amerikanischen Hinterland herumfahren sieht, mit dem er am Ende sogar schießt.
Nachher fragt ihn ein Interviewer aus dem Off, was er Leuten sagen würde, die sich fragten, ob er Nazi sei. Die Frage ist nicht ganz abwegig, immerhin läuft Lemmy gern mit Wehrmacht- und SS-Uniformen durch die Gegend. Seine Wohnung hängt voller Bajonette und Standarten, auf denen auch das eine und andere Hakenkreuz abgebildet ist. Er habe acht schwarze Freundinnen gehabt, die hätte er ja wohl schlecht in Nürnberg dem Führer vorstellen können, antwortet Lemmy. Und wenn die israelische Armee so schicke Uniformen schneidern würden, wie die Deutschen sie mal geschneidert haben, würde er die auch anziehen.
Gegen Freitag lässt die Stärke der bereits bekannten Symptome leicht nach. Allerdings ist in der Zwischenzeit ein weiteres hinzugekommen. Nase läuft jetzt auch.
Am Samstag sendet der Deutschlandfunk das preisgekrönte Hörspiel von Rimini Protokoll, in dem eine humorvolle Frau aus Stuttgart über Wahrscheinlichkeitsrechnungen und den Wahn ihrer Mitmenschen philosophiert, alles planen zu wollen, was sich inzwischen häufig verhängnisvoll für Embryonen auswirkt, deren Genom Abweichungen zeigt. Während sie erzählt, hört man das Klacken ihrer Lungenmaschine. Vor dreißig Jahren war sie eine Sensation auf ihrer Intensivstation, weil sie der erste Mensch war, der einen Genickbruch überlebt hat. Sie sagt, das Leben sei wunderbar.
Sonntagabends stehen ein Junge mit Trisomie 21 und sein Begleiter vor mir in der Schlange. Vor ihnen ein dicker, alter Rocker mit Lebensrune auf der Kutte neben dem Motörhead-Aufnäher. In der Max-Schmeling-Halle ist alles voller Männer, entweder ganz ohne oder mit langen Haaren. Es sind gut 9.000.
Dann steht Lemmy auf der Bühne und sagt: „Hallo Berliiin!“ Er spricht es Deutsch aus, und dann schreit er auch schon: „We are Motörhead. And we play Rock ’n’ Roll!“ Grelle weiße Scheinwerfer blenden die Menge und tasten sie ab wie eine Zone, die es vor dem Beschuss auszuleuchten gilt. Motörhead sind schon seit Längerem wieder ein Trio, und es ist schwer zu fassen, wie drei Männer mit Bass, Gitarre und Schlagzeug einen derartigen Höllenlärm veranstalten können. Es ist brutal, es ist aggressiv, aber es hat Groove. Bombengeschwader und Sex auf einmal.
Ist das Gewaltverherrlichung? Nein, eine Form von ästhetischem Realismus. Motörhead haben, ohne dass es wer bemerkt hätte, diverse Songs geschrieben, die als pazifistisch durchgehen, wenn man die Texte liest und nicht hört. „Brotherhood of Man“ vom letzten Album etwa: „We are worse than animals, we hunger for the kill. We put our faith in maniacs, the triumph of the will. We kill for money, wealth and lust, for this we should be damned. We are disease upon the world, brotherhood of man.“
Vom gemeinen Erkältungsvirus wollen wir nicht reden. Aber wenn man Motörhead ernst nimmt, könnte man sagen, selbst Ebola verblasst vor dem, was Menschen anrichten. Dabei könnte man zusammen so viel Spaß haben. „Getting fucked is so much more fun than shooting people“, sagt Lemmy. Vor der Bühne Massenpogo. Plastikbecher fliegen durch die Luft. Von den Rängen regnet es Bier.
Am Montag tut das rechte Ohr weh. Virus oder Motörhead?