FERNSEHTHERAPIE : Geschätzt um die 30
Und spät schon am Abend liegt jemand am Rande des Fußwegs, im Schlafsack auf einer alten Matratze. Ich überlege, ob er tot ist und will zu ihm hingehen. Dann schnarcht er, ich erschrecke ein bisschen und gehe dann zu T., er öffnet die Tür, ich bin ein bisschen erschrocken; in den letzten zwei Monaten hat er weiter abgenommen. Wir gehen in sein Zimmer, der Fernseher läuft wie immer. Es ist schwierig, weil er nicht mehr sprechen kann und ich weiß auch nicht, was ich erzählen soll; so ganz eng sind wir ja nicht, aber kennen einander schon viele Jahre. Wir gucken Fernsehen und rauchen. Ich hatte vergessen, mir ein Bier wie sonst immer mitzubringen.
Der Film spielt in einer properen Stadt, zwei Männer sind lustig, eine hübsche Frau mit Kind, beide sind hinter ihr her oder mit ihr zusammen, auf lustige Art haben sie in einem großen, schicken Zimmer Sex in der Morgensonne. Dann kommt der andere und dann gibt es wieder eine turbulente Verfolgungsjagd. Ein frivoler Unterhaltungsfilm des MDR, voll ost. Die Personen und ihr Ambiente sind ziemlich weit von unseren Lebenswelten entfernt. Sie sind mir fremd, ich versteh den Film nicht, alles wirkt auf so seltsame Art harmlos.
Ich denke an H. und wie er dann Kochsendungen geguckt hatte, vielleicht muntert meinen Freund diese komische gesunde Positivität auch auf. B. ruft an. Wir treffen uns wenig später im Monarch, trinken Bier. Oft kommentiert er die Gäste und sagt „alt“. Die er alt nennt, kommen mir jung vor, um die 30, aber ich bin nicht gut im Schätzen.
Er sagt, dass er junge Leute besser fände als ältere, weil sie optimistischer wären. Er fragt, „kommst du noch mit zum Tanzen“, ich antworte, ich sei vor sieben Jahren zuletzt allein tanzen gewesen und er sagt, er müsste sich halt ab und an mal verausgaben, „du hast ja deinen Fußball“. Bei meinem Fußball sind die meisten auch unter 30. Oder 40.
DETLEF KUHLBRODT