FC St. Pauli-Präsident Corny Littmann: "Schwarz-Grün ist keine Liebesehe"
Corny Littmann, Theaterchef und St. Pauli-Präsident, hat für die Grünen Politik gemacht - und schätzt die Arbeit der CDU. Warum er für Schwarz-Grün in Hamburg plädiert.
taz: Herr Littmann, Sie haben einen guten Draht zu Bürgermeister Ole von Beust, sind selbst aber den Grünen verbunden. Wie sympathisch wäre Ihnen eine schwarz-grüne Regierung in Hamburg?
Corny Littmann: Es geht da nicht um Sympathie. Schwarz-Grün ist aus vielerlei Gründen politisch richtig und notwendig. Eine solche Koalition hätte alle Chancen, die Stadt voranzubringen.
Corny Littmann , 55, leitet seit 1988 bzw. 1991 die beiden Hamburger Privattheater "Schmidt" und "Schmidts Tivoli" am Spielbudenplatz an der Hamburger Reeperbahn. Für die erfolgreiche Etablierung beider Häuser ohne staatliche Zuschüsse wurde 1999 als "Hamburger Unternehmer des Jahres" ausgezeichnet. Zudem fungiert es seit Ende 2002 als Vereinspräsident des FC St. Pauli, der unter seiner Leitung im vergangenen Jahr in die Zweite Bundesliga aufstieg und mit dem seit über 20 Jahren geplanten Neubau eines Stadions am Millerntor begann. In eine "Retterkampagne" für den 2003 am Rande der Insolvenz stehenden Club spannte er Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust ein, zu dem ihn ein ausgezeichnetes Verhältnis verbindet. 1979 trat das Mitglied der schwulen Theatergruppe Brühwarm den Hamburger Grünen bei, für die er 1980 - erfolglos - als Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl antrat. Um die Verfolgung von Schwulen öffentlich anzuprangen, zerschlug er im Beisein von Journalisten einen Toilettenspiegel im Hamburger Hauptbahnhof, hinter dem Überwachungskameras der Polizei das Örtchen kontrollierten.
Noch heute sympathisiert der Theaterchef mit den Grünen und pflegt mit der grünen Vize-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Krista Sager, eine langjährige Freundschaft.
Eine mutige Prophezeiung
In Hamburg haben wir eine traditionell vergleichsweise liberale CDU und eine eher "rechte" SPD. Die inhaltlichen Unterschiede sind hier marginal, egal ob wir über Elbvertiefung oder Bildungspolitik reden. Das heißt: Was mit Rot möglich war, kann prinzipiell auch mit Schwarz gehen. Die SPD hat im Wahlkampf nicht ganz erfolglos mit der "sozialen Frage" polarisiert. Doch in Wahrheit ist die Behauptung, dass es in Hamburg zwischen der CDU und der SPD gravierende Unterschiede gäbe, absurd. Wer sich die Politik der rot-grünen Koalition in Hamburg zwischen 1997 und 2001 ansieht, erkennt, dass die SPD damals keinen Deut anders agiert hat als die CDU heute. Beispielsweise haben die Hamburger Sozialdemokraten mit der massiven Abschiebung von Migranten begonnen.
Ist es deshalb aus Ihrer Sicht nur egal, mit wem die GAL koaliert, oder hat Schwarz-Grün einen besonderen Charme?
Eine schwarz-grüne Koalition ist für die GAL attraktiver als eine rot-grüne Zusammenarbeit. In der rot-grünen Koalition in Hamburg hat die SPD der GAL keinen einzigen Erfolg gegönnt, sondern alle Initiativen der Grünen für sich reklamiert. Ich bin der festen Überzeugung, dass die CDU so ein Verhalten nicht nötig hat. Die Kompetenzen wären in einer schwarz-grünen Koalition klarer verteilt und die CDU würde den Grünen ihre Erfolge nicht streitig machen. Die GAL könnte in so einem Bündnis wesentlich profilierter grüne Politik machen als mit der SPD.
Die identifizierten Knackpunkte zwischen CDU und GAL sind die Fragen nach dem zukünftigen Schulsystem und dem Neubau eines Kohlekraftwerks in Hamburg Moorburg. Wie sollen sich die Grünen da profilieren?
Da sind aber die Kompromisslinien bereits vorgezeichnet: ein kleineres Kohlekraftwerk und Modellversuche im Schulbereich. Viel interessanter ist doch die Frage, ob es den beiden Parteien in den Koalitionsverhandlungen gelingt, eine gemeinsame Vision für die Zukunft Hamburgs zu entwickeln. Wenn sie dazu nicht in der Lage sind, ist eine schwarz-grüne Koalition über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt. Sich in Einzelfragen zu verstricken und in täglichen Klein-Klein-Streitereien aufzureiben, hilft beiden Parteien ebenso wenig wie der Stadt.
Wo sehen Sie bei beiden Parteien Schnittmengen für eine gemeinsame schwarz-grüne Stadtutopie?
Ich glaube, dass in beiden Parteien genug kreative Politiker sind, die ein solches Leitbild für die Stadt entwickeln können. In der Hamburger CDU gibt es nach meinen Erfahrungen eine grundsätzliche Offenheit, ganz pragmatisch sachbezogene Diskussionen zu führen und sich neuen Themen zu öffnen. In der Stadtentwicklungspolitik haben wir etwa das Phänomen, dass die Menschen wieder von der Peripherie in die Metropole ziehen. Die Frage ist: Wo entstehen neue Wohnviertel und wie sehen sie aus? Hat Hamburg neben der Hafencity weitere Flächen für Wohnungsbau, und wie soll der vielbeschworene Sprung über die Elbe aussehen? Das sind entscheidende Zukunftsfragen für die Stadt Hamburg.
Welche Akzente erwarten Sie da von den Grünen?
Die Frage, wie ein Stadtteil Identität ausbildet, ist sehr komplex. Die Hafencity, die zurzeit entsteht, ist ein absolutes Negativbeispiel. Sie ist ein Grauen in Glas und Beton und kein lebendiger Stadtteil. Deshalb gilt es, sich in anderen Städten umzuschauen und notfalls auch mal Ansätze zu klauen. Bei den Grünen gibt es viele interessante Ansätze, weil sie über den Tellerrand hinausblicken. Also: In die Ferne schauen und gute Ideen klauen
Ein Bündnis zwischen CDU und GAL war lange Zeit auch sehr fern, im Grunde undenkbar - was hat sich da in den vergangenen Jahren bei beiden Parteien verändert?
Die handelnden Personen haben sich verändert. Mit den ehemaligen CDU-Fürsten Jürgen Echternach und Hartmut Perschau wäre Schwarz-Grün ebenso wenig denkbar gewesen wie mit den GALiern Thomas Ebermann und Rainer Trampert.
Das jeweilige Führungspersonal ist doch nur Ausdruck der Verfassung einer Partei. Hat sich die verändert?
Die Hamburger CDU hat sich verjüngt und zu einer anderen Politik gefunden. Bei der GAL hat sich im gleichen Maße was getan. Der entscheidende Bruch war der rot-grüne Senat. In dem Moment, wo sie von der parlamentarischen Vertretung der außerparlamentarischer Opposition in die gestaltende Regierungsbeteiligung gegangen ist, hat sich in der Partei grundsätzlich etwas verändert. Die Grünen erheben jetzt den Anspruch, mit einer Fülle von umsetzbaren Ideen die Stadt zu gestalten. Ob grüne Marktwirtschaft, Stadtplanung oder alternatives Verkehrskonzept für Hamburg: Sie sind nicht mehr die Partei, die drei, vier Einzelthemen oder Vorschläge in die politische Debatte wirft und sich um deren Realisierung dann nicht mehr kümmert.
Viele Beobachter prophezeien, Schwarz-Grün werde eine Koalition der Besserverdiener ohne soziales Korrektiv.
Die Grünen haben in einer solchen Koalition die große Chance, in der öffentlichen Wahrnehmung verlorengegangene soziale Kompetenz zurückgewinnen und ihr soziales Profil zu schärfen. Für gewerkschaftliche Interessen oder Migrantenorganisationen werden sie in einem schwarz-grünen Senat der erste Ansprechpartner sein. Sie können in diesem Bereich also nur gewinnen. Klar muss nur sein: Eine schwarz-grüne Koalition ist keine Jubelveranstaltung oder Liebesehe, sondern ein ganz pragmatisches Bündnis.
Welche Erfahrungen haben Sie als Unternehmer im Hamburger Kulturbetrieb mit der CDU-Regierung gemacht, die Sie so optimistisch für Schwarz-Grün stimmt?
Ich will das am Stadtteil St. Pauli deutlich machen. Dieser Kiez war für die Hamburger Sozialdemokraten immer ein weißer Fleck auf der Landkarte - sie haben sich für St. Pauli geschämt. Helmut Schmidt hat Mitte der Achtzigerjahre betont, dass ein Hamburger nicht auf die Reeperbahn geht, und Michael Naumann hat im Wahlkampf allen auswärtigen Besuchern empfohlen, die Reeperbahn zu meiden. Der CDU-Senat hingegen hat mit der Reeperbahn und St. Pauli Städtewerbung betrieben. Er hat ganz pragmatisch gesagt: Hier kommen jährlich 20 Millionen Touristen her. Diese Besucherströme können und wollen wir etwa mit Hilfe des Stadtmarketings etwas lenken.
Auch als Präsident des FC St. Pauli haben Sie mit der CDU Erfahrungen gemacht.
Die SPD hatte jahrelang jede finanzielle Unterstützung für den längst überfälligen Neubau des Millerntor-Stadions verweigert, mit dem Hinweis darauf, es gäbe ja schon ein bundesligataugliches Stadion am Volkspark. Damit war die Diskussion beendet. Die CDU hat hingegen erkannt, dass dieses neue Stadion Anziehungskraft weit über Hamburg hinaus haben könnte und dass es für die Zuschauer, die ans Millerntor gehen, undenkbar wäre, sich am Volkspark Fußballspiele anzusehen. Inzwischen hat der Stadionneubau nach fast dreißig Jahren vergeblichen Mühens mit finanzieller Hilfe und unbürokratischer Unterstützung des Senats begonnen. Zusammengefasst: Die CDU-Politik hier im Stadtteil ist pragmatisch und unideologisch.
Gleichzeitig ist gerade die Reeperbahn, an der auch Ihre Theater liegen, im Fokus der CDU-Innenpolitik. Videoüberwachung und Waffenverbot sind da nur zwei Stichworte. Notwendige Entwicklungen, um die Hamburger Amüsiermeile sicherer zu machen?
Bei jährlich 20 Millionen Besuchern auf so einem begrenzten Areal kommt es immer zu gewissen Auseinandersetzungen, die auf die Kriminalstatistik durchschlagen. Es gibt die bedrohliche Tendenz, dass CDU und SPD im Schulterschluss zu immer repressiveren Maßnahmen greifen, um diese Entwicklung unter Kontrolle zu bekommen. Beide Parteien schenken sich da gar nichts. Kommt CDU-Innensenator Nagel mit Videoüberwachung und Waffenverbot um die Ecke, fordert der SPD-Bezirksamtsleiter Herr Schreiber sofort das Alkohol- und Flaschenverbot auf den Straßen und Plätzen rund um die Reeperbahn.
Springen wir vom Stadtteil in den Bund: Sehen Sie Schwarz-Grün auch als Zukunftsoption für Berlin?
Das halte ich in absehbarer Zeit für ausgeschlossen. Ich glaube zwar, dass Hamburg in den nächsten Jahren nicht das einzige Bundesland bleibt, das von einer schwarz-grünen Koalition regiert werden könnte. Aber bei der anstehenden Bundestagswahl ist diese Konstellation keine realistische Option. Der größte Hinderungsgrund ist die CSU. Da gibt es auf absehbare Zeit eine kulturelle Kluft, die nicht überwindbar ist. Eine schwache CSU-Spitze, die es nötig hat, nach außen Stärke zu demonstrieren, wird niemals mit den Grünen eine Koalition eingehen. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Grünen mit dieser CSU etwas zu tun haben wollen.
INTERVIEW: MARCO CARINI
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