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FAKE-REPUBLIKEN

■ Samstäglicher Schlachtenbummel um die kulturellen Zentren

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Samstäglicher Schlachtenbummel um die kulturellen Zentren

Die alliierte Truppenparade um die Siegessäule rum, einmal als Demütigung aller dumpfen Deutschempfinder gedacht, war heuer wieder ein einziger großer Augenschmaus für alle sehnsüchtigen Schwulen in der Stadt: Hinter Selbstfahr -Lafetten und ähnlichem Geilgerät marschierten die schärfsten Männer an uns vorbei: schnurrbärtige Waliser mit wackelnden Ärschen, moosgrüne Ami-Mafiosi - mit behaarten Brüsten, linkstragende knackige Korsen, goldbehangene Westpoint-Tunten - von Tuten und Blasen keine Ahnung, aber spitz wie Lumpi, kniefreie Schotten mit silbernen Reitgerten, ordengeschmückte Südstaatenneger mit Oberschenkeln wie Hannoveraner-Stuten (ich kenn mich da aus), kleine Pariser Chasseurs mit stechendem Blick in Khaki, große olivfarbene Granatwerferträger aus den Rocky Mountains: ein Ächzen ging durch die mit Militärbussen herangekarrten Trümmerfrauen aus Buckow und Britz. Selbst die versoffensten Obdachlosen hatten sich zur Feier des Tages Sportabzeichen angesteckt und salutierten mit ihren fleckigen Kapitänsmützen den silbersäbeligen Pionieren der 42. im quietschenden Stechschritt. Trocken wirkende englische Offizierswitwen mit großen gelben Hüten winkten aus Parfumwolken den voranmusizierenden Flötisten des Polizei-Musikkorps zu, graue Politiker aller Couleur erhoben sich, setzten sich und standen wieder auf - im Rhythmus der vorbeimarschierenden Männer. Es war ein Fest der Farben und Fahnen (was man trotz der ebenfalls kniefreien Blaskapelle und dem Polizeiorchester am Steigenberger und trotz unseres Harald Juhnkes - „so, wie er ist, ganz menschlich“ - für den Filmball am Abend zuvor nicht sagen kann). Auch für die Heteros: feldgrüne Polizistinnen aus Bielefeld und Gütersloh verliebten sich standepede in veilchenblaue Fußtruppen aus Wisconsin und Idaho, englische Verbindungsfrauen mit roten Käppis und weiß gepudertem Teint wurden von fliederfarbenen französischen Flugabwehr-Formationen im Vorbeigehen quasi erobert, Chieftain-Offiziere mit bonbonroten Stehkrägen und Seitenscheiteln parlierten gleich mehrsprachig mit stolzen Pied-Noir-Gattinnen in schillernden Federboas. Auf der Ehrentribüne warfen städtische Politikerinnen in komischen Kostümen Kußhände zu den 20. Königlichen Husaren, die mit martialisch-zärtlichen Blicken antworteten. God save the Queen und Freude schöner Götterfunken - „Aber die Liebe, nur Verdruß“ (Rimbaud).

Wie wogende Kornfelder im Wind mußten die an wahre westliche Verteidigungsbündnisse glaubenden Vorort-Greise als Zuschauer sich erheben und wieder setzen - nach einer Militärchoreographie, die selbst Roon und Moltke dahinschmelzen ließ. Oder sah es nur so aus, weil die Sonne auf ihre Denkmäler am großen Stern schien?

Nach der Camp-Orgie mechanisierter Virilität verzogen sich die meisten Besucher erschöpft, aber glücklich zum „Europäischen Volks-Festival“ vor dem Reichstag, während flinke Jungpolizisten mit Fallschirmjäger-Käppis und Lederhandschuhen schon den NATO-Draht einrollten.

Wir bummelten zum Norbert-Kubat-Dreieck, wo sich große kampfbereite Polizeischläger mit Football-Körperschutz unter ihrer Uniform und eher kleine schwarzgekleidete vermummte Besetzer auf Hochständen gegenseitig fixierten. Um erstere auszuhungern, hatten letztere dreisprachig überall Plakate („Eigendruck im Selbstverlag“) angebracht, auf denen vor Betreten des autonomen Geländes gewarnt wurde. Zusätzlich hatten sie noch überall bewußt dilettantisch gemalte „Füttern Verboten„-Schilder aufgestellt. Trotzdem quetschte sich eine ununterbrochene Schlange von Sympathisanten mit Versorgungsgütern an der Mauer entlang zu der kleinen Schar tapferer „231-Pflanzenarten, davon 41 vom Aussterben bedrohte„-Schützenden. Sofern es sich dabei um Parteifunktionäre der AL handelte, hatte jeder von ihnen einen taz-Redakteur neben sich, der sofort aufschrieb, was der grüne Politiker nun wieder dem Besetzerdorf überreichte: 2 Eier, 4 Hühner, eine Solidaritätsadresse vom erweiterten Ortsverband Steglitz, eine Kleine Anfrage im Senat der Fachhochschule für Sozialarbeit, usw.

Die Besetzer waren ebenso gierig wie gutwillig: sie nahmen wirklich alles. Und zusätzlich wurde vorgestern allein auf sechs Kreuzberger Straßenfesten für sie gesammelt.

Wir gingen an der Wohnwagen-Siedlung auf dem „Haus Vaterland„-Gelände vorbei zum Gropius-Bau, wo gerade eine große „Kaiser Augustus„-Ausstellung - „Die verlorene Republik“ - eröffnet worden war: erneut militärischer Pomp und machtseliger Prunk: Uniformen, Schwerter, Dolche, Koppelschlösser, Helme - aus Silber, Eisen und Bronze, mit Goldeinlagen, szenischen Reliefs, edelsteinbesetzten Rändern, nur alles seit 2.000 Jahren am Zerbröseln. Oftmals nur noch als fast amorphes Fragment oder Gipskopie erhalten. Auf einer Lehrtafel wird schriftlich erklärt, daß die museale Ächtung der Kopien seit der impressionistischen Wertschätzung der Oberfläche sich langsam legt, jetzt, wo das Original oftmals nicht mehr vorhanden ist - durch Kriege und Umweltverschmutzung zerstört. Im Stockwerk über den Resten römischer Ruinen wurde gerade eine Photo-Ausstellung des Stöckelschuh-Fetischisten Helmut Newton gehängt, und in den Räumen des Werkbund-Archivs hat man sich sogar zu einer deutlich-deutschen Feier französischer Simulations-Theorien hinreißen lassen: „Postmodern Talking“.Höge/Vogel

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