Extremismusklausel für Sportler: Eine Einladung zur Heuchelei
Nach dem Fall Drygalla wird diskutiert, die Sportförderung an ein Bekenntnis zum Grundgesetz zu koppeln. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich ist dagegen.
BERLIN taz | Wir wissen nicht, ob sie mit Füllfederhalter oder Kugelschreiber unterschrieben hat. Was wir aber wissen, ist, dass Nadja Drygalla mit ihrer Unterschrift auf dem Meldebogen des Deutschen Sportbundes die Charta des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) anerkannt hat. Geholfen hat es nichts. Denn erst während der Spiele wurde ihre Beziehung mit einem Nazikader zu einem Skandal.
Seit Dienstag wird nun darüber diskutiert, ob eine Extremismusklausel helfen könnte, Athleten zu identifizieren, die Probleme mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung haben. Im Innenministerium befasste man sich mit der Frage, ob die Förderung von Spitzensportlern und Sportverbänden an die Bereitschaft gekoppelt werden soll, eine derartige Klausel zu unterschreiben. Schließlich wäre der deutsche Spitzensport ohne die Millionenbeträge des Staates international nicht konkurrenzfähig, deutsche Olympioniken hätten keine Chance.
Allerdings hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich erklärt, eine solche Klausel nicht einführen zu wollen – reagierend auf die scharfe Kritik an solchen Plänen zum Gesinnungs-TÜV. Und offenbar hörten die Beamten seines Hauses auf das Naheliegende: Die Voraussetzung für die Teilnahme an Olympischen Spielen ist ohnehin die Zustimmung zur olympischen Charta, in der die olympischen Prinzipien und Regeln festgelegt sind.
Die Idee, eine Extremismusklausel für Sportler einzuführen, kam überraschend. Denn eine ähnliche Regelung, die das Familienministerium seit 2011 zur Grundlage für die Vergabe von Fördergeldern macht, war stets heftig umstritten. Ein Passus, der Projektträger dazu verpflichtet, für die Verfassungstreue ihrer Partner zu sorgen, wurde im April gar für rechtswidrig erklärt. Kritisiert wird vor allem die Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus wie auch der Generalverdacht, dem sich antifaschistische Organisationen ausgesetzt sehen.
Doch der neue Vorschlag aus dem Hause Friedrich, dort angeblich schon seit Dezember diskutiert, ist vom Innenminister selbst nun zurückgezogen worden. „Es soll keine Gesinnungsschnüffelei im Umfeld von Sportlern geben“, so ein Sprecher des Ministers. Nicht nur Politiker der Opposition hatten zuvor massive Kritik geäußert, auch in Teilen der Regierungsfraktion gibt es Widerstand. So sprach sich Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) gegen „Gesinnungsschnüffelei im Sport“ aus.
Die Durchführungsbestimmungen für die Eröffnungsfeier sind in ihr ebenso enthalten wie das Dopingverbot. Die Charta müssen alle Teilnehmer der Spiele, Athleten, Trainer, Funktionäre und Journalisten anerkennen.
Seit der Bestechungsaffäre um die Vergabe der Olympischen Winterspiele 2002 an Salt Lake City gehört zu ihr auch ein Verhaltenskodex, dessen Einhaltung von einer Ethikkommission überwacht wird. Darin aufgelistet sind Regeln für Bewerberstädte und IOC-Mitglieder wie Verhaltensmaßgaben für die Sportler. Der olympische Eid, der zur Eröffnung der Spiele jeweils von einem aktivem Sportler und einem Kampfrichter abgelegt wird, ist dagegen ein unverbindliches rituelles Bekenntnis, den Fairnessgedanken zu achten.
Diskriminierung ist verboten
Der Ethikkodex erhebt den Schutz der Menschenwürde zur grundlegenden Anforderung an die olympische Bewegung. Verboten sind Diskriminierungen aufgrund von Rasse, Geschlecht, ethnischer Herkunft, Religion, politischer Einstellung und materiellem Status, ebenso wie körperliche oder sexuelle Belästigung und Doping. Verstöße werden mit einem Ausschluss von den Spielen geahndet.
Aus London mussten eine Griechin und ein Schweizer wegen rassistischer Tweets abreisen. Paraskevi Papachristou hatte afrikanische Flüchtlinge in Griechenland mit der sich ausbreitenden Moskitoplage in Verbindung gebracht, Michel Morganella die südkoreanischen Fußballer als „Bande von Mongos“ bezeichnet.
Ein offensichtlicher Verstoß gegen die Charta liegt im Fall Nadja Drygalla nicht vor, denn rassistisch geäußert hat sich die Ruderin nicht. Ihre Abreise von den Spielen erfolgte freiwillig und in Absprache mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Eine genauere Überprüfung des Athletenumfelds sei nicht gewollt gewesen, wie DOSB-Generaldirektor Michael Vesper erklärte. Vesper hatte nach Bekanntwerden der Liaison Drygallas mit dem aktiven Neonazi Michael Fischer das Gespräch mit der Athletin gesucht und ihr danach eine einwandfreie Gesinnung attestiert.
Die Grünen-Bundestagsabgeordneten Viola von Cramon und Monika Lazar wiesen in einer Erklärung darauf hin, dass der Ruderverband frühzeitig Kenntnis von Drygallas Beziehung hatte. Nur in „klärenden Gesprächen mit der Ruderin hätte die Möglichkeit bestanden, auf eine frühzeitige und tatsächlich glaubwürdige Distanzierung der Sportlerin zur rechtsradikalen Szene hinzuwirken“.
Grundsätzliche Kritik an einer Extremismusklausel kam vom Innenexperten der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Hartmann: „Das ist eine Einladung zur Heuchelei bei all denen, die davon betroffen sein könnten.“ Oder, anders gesagt: Wer wirklich etwas zu verbergen (gehabt) hätte, wäre für das Ticket nach London nur zu gern bereit gewesen, die Unterschrift unter eine Anti-Extremismus-Erklärung zu setzen.
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