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Extrawurst beim Hummercocktail

Nach dem zweiten Tag des ATP-Masters-Turnieres wird der Rechenschieber ausgepackt/ Siege für Pete Sampras, den muskelschwachen Boris Becker und einen phänomenalen Stefan Edberg  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Ein „Muster ohne Wert“ verabschiedete sich wohl bereits in seinem ersten Spiel beim ATP-Masters—Turnier in Frankfurt vom Kampf um die Tenniskrone: Der ehrgeizige Österreicher Thomas Muster (23), der „zum Ausgleich“ gerne mit schnellen Autos über die Alpenpässe brettert, wurde von Ivan „dem Schrecklichen“ Lendl (30) in nur zwei Sätzen (6:3/6:3) vom Court gefegt. „Grauslig“ sei's gewesen, meinte nach dem Match ein enttäuschter Kollege aus Wien, der seinen Kummer und zwei „Francfurters“ im Pressezentrum der Festhalle mit einem staubtrockenen Müller-Thurgau hinunterspülte.

Was der Journalistenmeute sechs Tage lang für „lau“ serviert wird, müssen die Fans auf den Rängen und in den Logen dagegen mit harter Deutschmark bezahlen: An den Restaurationsständen der „International Management Group“ (IMG) kostet eine schlichte Bratwurst 8,50 Mark — und der bei Tennisturnieren der Spitzenklasse obligatorische Hummercocktail geht für 26 Mark über den mit weißer Lackfolie bespannten Tresen.

Am zweiten Tag der ATP-Tour- Weltmeisterschaften wehte erstmals ein Hauch von Madison-Square- Garden durch die alte Festhalle. Rund 7.500 „Tifosi“ des weißen Sports waren gekommen, um vor allem den Mann siegen zu sehen, dem ein — nach eigenen Angaben — „Muskelfaserriß“ fast einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte, die er gegen den schwedischen Weltranglistenführer Stefan Edberg seit dem Handtuchwurf von Paris noch nicht beglichen hat. Und nachdem Pete Sampras (USA) den Spanier Emilio Sanchez kurz und bündig mit 6:2, 6:4 abgefertigt hatte, enttäuschte Boris Becker seine Fans nicht: Nach Startschwierigkeiten, die der Monegasse mit dem deutschen Paß später auf die „Angst vor einer erneuten Verletzung“ zurückführte, lief der Liebling der Massen im zweiten und dritten Satz der Auseinandersetzung mit dem ecuadorianischen Nationalhelden Andres Gomez (30) zu souveräner Form auf. Mit 4:6, 6:3 und 6:3 gewann Becker letztendlich verdient gegen Gomez, der nur einen Satz lang glänzen konnte.

Das Superspiel des Tages bestritten allerdings zwei andere Anwärter auf die „Kings-Crown“ der ATP- Tour: Stefan Edberg und Andre Agassi lieferten sich vor Mitternacht ein spannendes Tennisduell auf höchstem Niveau, das Edberg — der Mann hat Nerven wie Drahtseile — knapp für sich entscheiden konnte. Agassi hat denoch gute Aussichten, das Halbfinale am Sonnabend zu erreichen. Ein Sieg über den bislang enttäuschenden Emilio Sanchez würde den „neuen“ Andre Agassi, der im nächsten Jahr im vorschriftsmäßigen weißen Leibchen erstmals auch in Wimbledon antreten will, unter die letzten Vier des Turniers katapultieren.

In den frühen Morgenstunden wurde dann bei den Ranglistenspezialisten im Pressezentrum der Rechenschieber ausgepackt. Falls Edberg gestern Abend — nach Redaktionsschluß — auch gegen Pete Sampras als Sieger vom Court gegangen sein sollte, ist ihm der erste Platz in der „Arthur-Ashe-Group“ sicher. Boris Becker muß dann in seiner Gruppe nach Abschluß der „Round- Robin“ unbedingt den zweiten Platz belegen, um im Halbfinale seinen Widersacher Edberg ausschalten zu können. Denn nur wenn der Schwede im Halbfinale scheitert und Becker das Endspiel gewinnt, kann „uns Boris“ noch in diesem Jahr Weltranglistenführer werden.

Beckers Perspektiven für die nächsten beiden Spiele: Den Österreicher Muster, der ihn gestern eine „Extrawurst“ genannt hatte, klar schlagen und den Mann zurück in die Steiermark schicken — und gegen Lendl dann aus taktischen Gründen verlieren. Doch diese Rechnung enthält eine „Unbekannte“. Falls Andres Gomez in der „Cliff-Drysdale- Group“ Lendl und Muster jeweils in zwei Sätzen besiegt, ist Becker (vielleicht) draußen.

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