: Exportmarkt kaputt
■ Die DDR will keine Waren aus Ungarn mehr, liefert aber verstärkt an die magyarische Wirtschaft
Aus Budapest Tibor Fenyi
Die Ausreise fluchtwilliger DDR-Touristen am 10. September 1989 war von den Magyaren noch mit überschäumender Freude gefeiert worden; die deutsche Währungsunion wird nur noch höflich begrüßt. Und sogleich beginnt das fieberhafte Rechnen, wieviel die Vereinigung Ungarn wohl kosten werde.
In den ausgeglichenen Handelsbeziehungen zwischen Ungarn und der DDR belief sich der Wert der gegenseitigen Warenlieferungen in den letzten Jahren jeweils auf rund eine Milliarde Transferrubel. Den Exporten Ost-Berlins standen entsprechende Einnahmen aus dem Plattensee-Tourismus gegenüber - zur Zufriedenheit beider Seiten. Die Ungarn liebten DDR-Waren: Im Vergleich zu vielen anderen Comecon -Produkten waren diese qualitativ hochstehend, zuverlässig und wegen des unterschiedlichen Preisniveaus auch billig. In der Gegenrichtung konnten die ebenfalls beträchtlichen ungarischen Ausfuhren zu 40 Prozent in Kooperationen realisiert werden.
DDR kündigt Importverträge
„Seit die Währungsunion erstmals angekündigt worden ist, haben die ostdeutschen Partner immer mehr Verträge aufgekündigt“, berichtet die DDR-Referentin im Ministerium für internationale Wirtschaftsbeziehungen, Frau Janos Nemeth. „Das daraus entstehende ungarische Passivum kann bis zum Jahresende bis auf 200 Millionen Rubel anwachsen.“ Und Frau Nemeth nennt noch einen Nachteil: Die Ungarn verlieren touristische Dienstleistungen im Wert von 60 Millionen Rubel - rund 140 Millionen Dollar. Angesichts der Staatsschulden von 21 Milliarden Dollar wird auch die zu erwartende Zinssteigerung von Bedeutung sein.
Während die Nachfrage nach Importen aus Ungarn in Ost -Berlin beinahe völlig eingeschlafen ist, wächst der Drang zu Exporten rasant. Die DDR bietet praktisch ohne mengenmäßige Beschränkung Waren an, die sie früher nicht nach Ungarn zu verkaufen bereit war. So will sie auch 25.000 Trabants, bereits mit dem Viertakter-VW-Motor, liefern. „Leider ist das bald vorbei“, weiß Ministeriums -Hauptabteilungsleiter Laszlo rsek Csanadi. „Ab 1. Jänner 1991 verrechnen wir alles in Dollar, und es ist fraglich, ob es sich dann noch auszahlt, Trabis zu kaufen.“
Noch größere Sorgen bereitet die Tatsache, daß die ungarischen Exporteure von einem Tag auf den anderen ihre DDR-Märkte verlieren könnten. „Jetzt werden wir mit Unternehmen der Bundesrepublik in den Wettbewerb treten müssen“ , weiß Csanadi. „Zudem werden etwa 40 Prozent der DDR-Betriebe in Konkurs gehen, und es ist gar nicht sicher, ob die neuen Firmen auch aus Ungarn importieren wollen.“
Es ist durchaus wahrscheinlich, daß gerade jene ungarischen Unternehmen zu den Verlierern gehören werden, die schon heute schwerwiegende Probleme haben, wie etwa der Bushersteller Ikarus oder die Lebensmittelindustrie. Die DDR -Konkurse würden damit beinahe direkt ungarische Konkurse nach sich ziehen - und das zu einem Zeitpunkt, wo hierzulande eben erst die Umstrukturierung begonnen hat.
Die Magyaren blicken also wenig optimistisch in die Zukunft. Sich selbst beruhigend zitieren sie Bundeskanzler Helmut Kohl, nach dem gerade jene, die den entscheidenden Anstoß zur Vereinigung gegeben haben, keine Nachteile aus dieser erleiden dürften.
„Die Äußerung deutet auf einen vornehmen Charakter“, meinte darauf ein oppositioneller Abgeordneter. „Aber wir sind schon gezwungen gewesen, von den Grundprinzipien der Marktwirtschaft zumindest jenes zu erlernen, das besagt, daß sie nur in den seltensten Fällen von Dank gesteuert wird.“
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