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Archiv-Artikel

Explosiver Schmerz vor dem Orgasmus

Sexualkopfschmerz trifft dreimal mehr Männer als Frauen. Noch rätseln Mediziner über die Ursache der Attacken. Sie vermuten einen Fehler in der Reizverarbeitung des Gehirns. Was hilft, wissen sie indes schon: Tempo drosseln

„Aufhören, wenn es am schönsten ist!“, rät der Volksmund. Das gilt auch beim Sex. Jedenfalls für Menschen, die unter Sexualkopfschmerz leiden. „Etwa zwei Drittel der Patienten erleben einen explosiven Schmerz direkt vor dem Orgasmus“, erklärt Stefan Evers, Oberarzt an der Klinik für Neurologie in Münster. Ein Drittel der Betroffenen plage ein dumpfer Schmerz in Kopf und Nacken, der mit der Erregung zunimmt. Evers und seine Kollegen untersuchen das Phänomen seit fünf Jahren. In dieser Zeit behandelten sie rund 100 Patienten mit diesem Problem.

Wie vielen Menschen Sexualkopfschmerz die Lust verdirbt, ist unklar. Einer dänischen Umfrage zufolge leidet etwa ein Prozent der Menschen im Laufe ihres Lebens an den Kopfschmerzattacken. Einen Arzt suchen aber nur wenige auf. „Von 1.000 Migränepatienten, die ich im Jahr sehe, berichtet einer von Sexualkopfschmerz“, sagt Jan Brand, Chefarzt an der Migräneklinik Königstein im Taunus. „Die Dunkelziffer ist hoch.“

Kopfschmerzen sind also keine Ausrede für mangelnde Lust – vor allem keine typisch weibliche. Männer trifft Sexualkopfschmerz nämlich dreimal so häufig wie Frauen. „Warum das so ist, weiß kein Mensch“, sagt Evers. „Man kann zwar spekulieren, dass Frauen weniger betroffen sind, weil ihre Orgasmusrate geringer ist als bei Männern. Aber das ist pure Spekulation.“ Auch warum es besonders oft 25- und 50-Jährige trifft, können sich die Experten aus Münster nicht erklären. Aber es gebe einen Ansatzpunkt. „Regulationsmechanismen im Gehirn sorgen dafür, dass sich die Blutgefäße eng und weit stellen. Diese Fähigkeit ist bei den Patienten eingeschränkt“, erläutert Evers. „Wir wissen, dass es in Übergangsphasen wie der Pubertät und den Wechseljahren zu leichten physiologischen Einschränkungen bei der Gefäßweitung kommt. Es kann also sein, dass Sexualkopfschmerz in sensiblen Phasen der Entwicklung entsteht, nämlich dann, wenn die Reizverarbeitung im Gehirn beeinträchtigt ist.“

Das ist auch bei Migräne-Patienten der Fall. So wundert es nicht, dass sie besonders gefährdet sind. 50 Prozent der Sexualkopfschmerzpatienten leiden auch an Migräne.

„Wer diese Schmerzen zum ersten Mal erlebt, sollte sich sicherheitshalber von einem Neurologen oder im Krankenhaus untersuchen lassen“, rät Evers. „Denn es gibt ein extrem seltenes, aber gefährliches Phänomen: die Hirnblutung. Sie muss auf jeden Fall ausgeschlossen werden.“

Um Sexualkopfschmerzen behandeln zu lassen, sind neben Neurologen auch Schmerztherapeuten und spezialisierte Kliniken richtige Anlaufstellen, weiß Brand von der Migräneklinik Königstein. Bei der Therapie der Schmerzattacken gilt zunächst: einen Gang zurückschalten. „Beim Sex eher eine passive Rolle einnehmen und die Erregung nicht zu schnell steigern“, empfiehlt Evers. Helfe das nicht, könne ein Arzt ein Schmerzmittel verschreiben. Der Wirkstoff Indometacin habe sich besonders bewährt, sagt der Neurologe. Bevor es zur Sache gehen soll, schluckt der Patient eine Tablette – dann hat er zwei bis drei Stunden Ruhe. Wem der Liebesakt dadurch zu sehr zum Planspiel gerät, der kann auch regelmäßig ein Medikament einnehmen. Gleiches gilt für Menschen mit ständigen Kopfschmerzen beim Sex. Infrage kommen hier spezielle Betablocker.

„Grundsätzlich sind Sexualkopfschmerzen nichts Schlimmes“, beruhigt Evers. „Sie treten meistens episodenhaft auf und verschwinden nach einigen Wochen oder Monaten wieder.“ Nur etwa zehn Prozent der Patienten hätten über Jahre damit zu tun. „Die anderen müssen sich halt ein paar Monate sexuell ein wenig einschränken.“

MARTINA JANNING