: Explodierender Geburtstag
Zum Glück kein Dogma-Theater: Klaus Schumacher inszeniert „Das Fest“ im Bremer Schauspielhaus
Ja, die wackelnde Handkamera, der unsaubere Originalton und das natürliche, für die SchauspielerInnen alles andere als schmeichelhafte Licht gaben „Festen“ einen damals ganz neuen, radikal puristisch wirkenden Stil. Und als Thomas Vinterberg 1997 mit dem ersten Dogmafilm auch gleich die Goldene Palme gewann, begannen die dänischen Filmemacher mit der Serienproduktion dieser nach einem selbst entworfenen Reinheitsgebot inszenierten Filme. Aber war „Das Fest“ nicht eher deshalb international so erfolgreich, weil er eine emotional packende Mischung aus Farce und Tragödie bietet, bei der die filmische Form schon nach wenigen Minuten in den Hintergrund tritt? Anders gefragt: Funktioniert „Das Fest“ auch ohne „Dogma“? Vinterberg war auf die Antwort selber neugierig und schrieb deswegen ein Theaterdrehbuch.
So explodiert nun, unter der Regie von Klaus Schumacher, auch auf der Bühne des Bremer Schauspielhauses die Geburtstagsfeier des Patriarchen Helge. Die festliche Stimmung wird gründlich durch Sohn Christian verdorben, der den Vater beschuldigt, ihn und seine Zwillingsschwester missbraucht zu haben. Wie jeder damit umgeht, dass zum ersten Mal einer die Wahrheit ausspricht, wird nun auf der Bühne durchgespielt, und dabei merkt man schnell, dass dies ein fast klassisches, sauber gebautes Drama ist – mit pointierten Dialogen, geschickt gesetzten Höhepunkten und einigen erleichternden Lachern. Solch ein (inzwischen schon in ganz Europa erfolgreich aufgeführtes) Stück scheint es Regisseur und Schauspielern leicht zu machen – aber es gibt durchaus Fallen, in die sie bei der Inszenierung hätten tappen können.
Etwa wenn sie versucht hätten, „Dogmatheater“ zu machen. Aber davon ist zum Glück nichts zu spüren. Einige dramaturgische Hürden, die dadurch entstanden, dass das Stück sehr dem Filmskript folgt, werden interessanterweise gerade durch filmische Techniken genommen. So gibt es einen Soundtrack (Musik: Octavia Crummenerl), der unter anderem mit einem uhrenähnlichen Ticken das Vergehen der Zeit zwischen den Szenen verdeutlicht. In einer Szene liegen die Geschwister mit ihren Partnern im Bett, und wie bei einer filmischen Parallelmontage wird per Auf- und Abblende sowie mit einem gespielten Hochfahren der „Tonspur“ zwischen den nebeneinander liegenden Paaren „geschnitten“.
Schumacher fand bei „Festen“ den „Spannungsbogen zwischen Distanz und Emotion“ interessant, und so spielt das Ensemble betont naturalistisch in einem minimalistisch-kühlen Bühnenbild (Karin Plötzky). Distanz entsteht auch dadurch, dass auf der Bühne eine doppelte Inszenierung aufgeführt wird, denn das Fest folgt mit Mahlzeiten, Trinksprüchen und gemeinsamem Tanz ja auch einer festgelegten Dramaturgie, deren Einhaltung sogar von einem Zeremonienmeister überwacht wird. Christian, der dieses Ritual missachtet, wird dafür buchstäblich von der Bühne getreten. Ein wirklich packender Moment, denn Guido Gallmann spielt erstaunlich bewegend und glaubwürdig. Da gibt es keine Distanz mehr, wenn er sehr körperlich Verzweiflung, Liebe, Trauer und Wut ausdrückt.
Als Gegenpol gibt Detlev Greisner in der Rolle des Helge mit enervierend selbstherrlicher Leutseligkeit einen prächtigen Bösewicht. Trotz der 14 Rollen (im Film waren es 20) wirkt das Stück nie überbevölkert, Ensemble und Regisseur gelingt es, jede Figur lebendig werden zu lassen. Und man folgt tatsächlich gebannt der Geschichte – selbst wenn man den Film schon mehrfach gesehen hat.
Wilfried Hippen
Die nächsten Termine: 7., 17. und 18.12., jeweils 20 Uhr