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Archiv-Artikel

Experimente am Kanal

Der Erneuerer: Meinhard Zanger beginnt seine erste Spielzeit als Intendant am Wolfgang-Borchert-Theater Münster mit einem schlanken Tschechow, einem schlichten Beckett und ohne Sofas im Foyer

VON HEIKO OSTENDORF

Trotzig steht es da, als wollte es sagen: Ich war zuerst hier! Hinter dem Wolfgang-Borchert-Theater (WBT) in Münster ist inzwischen eine Feiermeile entstanden. Das ehemalige Hafengelände beherbergt jetzt nicht mehr Kähne und Kräne, sondern Party- und Amüsierwillige. Kreativkai – so wird das Areal den Kanal entlang genannt. Neben Clubs haben sich dort auch Verlage und andere künstlerisch Berufene angesiedelt. Das WBT allerdings, das einzige Privattheater Münsters mit eigenem Profi-Ensemble, ist seit mehr als acht Jahren hier – länger als alle anderen.

Das WBT stand schon immer für Theater, nach dem man in Münster sonst erfolglos sucht: künstlerisch-ambitioniert, mutig und gerne schräg. Es ist eine Art Gegenprogramm zu den Städtischen Bühnen und ihren seit Jahren statischen und werktreuen Inszenierungen. Seit WBT-Intendantin Eva Teilmans als Regisseurin am Theater Aachen wirkt, ist Meinhard Zanger vom Kölner Theater im Keller Intendant. Dass er hoch ambitioniert an die neue Aufgabe in der Provinz herangeht, hat er bereits bewiesen, indem er im alten Magazin des Hauses kurzerhand eine zweite Spielstätte eröffnete. Und das Foyer ausmistete: Versprühte es mit seinen alten Sesseln und Sofas einst den Charme einer WG, springt die Besucher nun die pure Nüchternheit der Plastikbestuhlung an.

Zanger wagt Experimente, verlangt den Zuschauern einiges ab, ohne sie zu überfordern. So beginnt er seine Intendanz mit Tschechow. Und kürzt „Die Möwe“ ohne Skrupel zusammen. Obwohl Tschechow seine Möwe als Komödie schrieb, wird sie seit der Uraufführung 1898 als tragisches Stimmungsbild interpretiert. Auch bei Zanger steht das Leid im Vordergrund. Konstantin (Florian Bender) verzweifelt an den Ansprüchen seiner Mutter (Stefanie Mühle), am Leben überhaupt und erschießt sich. Nina (Brit Dehler), seine Angebetete, verliebt sich in einen Dandy-Dichter (Josef Tratnik), wird schwanger und fällt aus der Gesellschaft. Zanger findet dabei das richtige Erzähltempo, lässt Sätze wie jene des verhinderten Theatermachers Konstantins („Wir brauchen neue Formen“) behutsam wirken. Neue Formen halten in Münster mit dem neuen Intendanten zwar nicht Einzug, aber für den Westfalen vielleicht gewöhnungsbedürftige. Die Schauspieler nehmen zwischen den Zuschauern Platz, halten ein Pläuschchen mit dem Sitznachbarn, kommentieren das Stück Konstantins auf der Bühne. Das schafft Nähe, gibt dem amputierten Stück seine Seele zurück.

Mit „Glückliche Tage“ hat sich Zanger als zweite Premiere dieser Spielzeit ein Stück eines weiteren Meisters der Ereignislosigkeit ausgesucht: Beckett. Diesmal führt Wolfgang Lichtenstein Regie und weiht damit auch die neue Spielstätte ein. Der kleine Raum lässt es nicht anders zu: Die Zuschauer kommen dort rein, wo später die Kulisse stehen wird. Als alle sitzen, wird der stilisierte Sandhügel von den Schauspielern hereingeschoben. Und so schlicht wie das Bühnenbild ist auch die Inszenierung.

Es gibt keinen Versuch, den Zuschauer vor der Langeweile des sich im apokalyptischen Nirgendwo ereignenden Ehekriegs zwischen Winnie (Monika Hess) und Willie (Florian Bender) zu retten. Sie, bewegungslos im Hügel eingegraben, hält satirisch an den gesellschaftlichen Konventionen fern jeglicher Zivilisation fest. Er hat sich dagegen aufs Zeitungslesen beschränkt. Wer hieran Freude haben will, muss Beckett pur mögen. Und somit stehen sich die ersten beiden Inszenierungen am runderneuerten WBT quasi diametral gegenüber – Einfallsreichtum auf der einen, Ideenlosigkeit auf der anderen Seite. Welche Variante sich durchsetzen wird, muss die (Spiel-)Zeit zeigen.

Die nächsten Vorstellungen: „Die Möwe“, heute, 14. und 15.10., je 20 Uhr, WBT-Saal; „Glückliche Tage“, 18. bis 22.10., je 20 Uhr, WBT-MagazinKarten: 0251-40019