Experiment am Theater Hannover: Planet der Pflanzen
Ein Theater, bei dem Pflanzen auftreten und möglichst keine Menschen, erprobt das Schauspiel Hannover seit einem Jahr. Das Projekt heißt "Die Welt ohne uns" und ist in vierzehn Folgen aufgeteilt. Jetzt hat die vierte Folge namens "Unwetter" Premiere
HANNOVER taz | "Der Auftrag des Theaters ist die Irritation", sagt Regisseur Volker Lösch. Normalerweise stellt sich die Irritation im Theater während der Aufführung ein: aufgrund dessen, was auf der Bühne passiert. Beim Stück "Die Welt ohne uns" ist das anders: Da beginnt die Irritation bereits vor der Aufführung.
Sie beginnt bei der Konzeption des Stückes, dessen zentrales Anliegen darin besteht, ohne Menschen auszukommen: Die Darsteller in "Die Welt ohne uns" sollen Pflanzen sein.
Volker Lösch hat mit dem Stück nichts zu tun. Aber mögen würde der politische Regisseur es vermutlich, zumal das Pflanzen-Theater des Schauspiels Hannover ebenfalls politisches Theater ist - auch wenn das hannöversche Haus lieber von "botanischem Langzeittheater" sprich.
"Die Welt ohne uns" besteht, wie eine TV-Serie, aus mehreren Folgen. Jede der insgesamt vierzehn Folgen dauert ungefähr eineinhalb Stunden, pro Spielzeit gibt es am Schauspiel Hannover drei Folgen, damit ist das Langzeit-Theaterprojekt auf fünf Jahre angelegt.
Der Zeitraum, von dem die vierzehn Folgen erzählen, umfasst eine Million Jahre - es geht darum, wie es auf der Erde weiter ginge, wenn die Menschheit aussterben würde. Am heutigen Donnerstag hat die vierte Folge namens "Unwetter" in Hannover Premiere.
Wie alle anderen Folgen auch kann diese vierte Folge ohne Vorkenntnisse rezipiert werden. Wissen müssen die Zuschauer nur, wo sie sich auf dem Eine-Million-Jahre-Zeitstrahl befinden: Folge vier spielt im fünfzehnten Jahr, nachdem die Menschheit von der Erde verschwunden ist.
Warum die Menschen weg sind, ist dabei egal. Wichtig ist nur: Sie sind weg, und seit anderthalb Jahrzehnten ist die Natur sich selbst überlassen. Daraus ergibt sich eine Szenerie, in der die Pflanzen und Tiere die Herrschaft übernommen haben. Der Ort hat sich seit der ersten Folge nicht verändert - nur Zeit ist vergangen.
In der Logik des Stückes ist es auch egal, wo auf der Welt sich der Ort befindet. In der Realität der Aufführung befindet er sich auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne im Nordosten Hannovers. Eine Kulisse erster Güte: Baracke reiht sich an Baracke, die Fenster sind eingeworfen, es gibt Löcher in den Mauern und verkohlte Türstöcke.
Auf einem der Barackenvorplätze sitzen die Zuschauer in einem Container, dessen Frontseite verglast ist. Wie in einem Cockpit sehen sie nur, was vor ihnen passiert, und hören, was Außenmikrofone übertragen. Die Zuschauer sind mittendrin und abgenabelt zugleich.
Bei der Folge "Unwetter" sehen die Zuschauer eine Telefonzelle, die wie vom Himmel gefallen in die Erde gerammt ist. In der Telefonzelle schwimmt ein Aal. Sie sehen eine riesige Röhre aus Metall aus irgend einem Industriebetrieb, in dem es ums Grobe gegangen sein muss.
Im Hintergrund sehen sie die alten Kasernengebäude mit eingeschlagenen Fenstern und Graffiti an den Wänden. Aus einem der Fenster wächst ein Gebüsch. Möglicherweise zeigen sich den Zuschauer auch die beiden Wölfe, auf dem Gelände unterwegs sind - von einem Zaun umgeben.
Und dann? Passiert erstmal nicht viel. Die Zuschauer werden einiges zum Schauen haben, weil sie auf dem Weg vom Schauspielhaus zur Spielstätte gemeinsam in einem Bus ein Hörspiel gehört haben, das die Situation erklärt. Sie werden sich mit dem Gedanken beschäftigt haben, wie es wohl mal aussehen wird auf der Welt, wenn der Mensch weg ist.
"Man kann das Stück eine Meditation nennen", sagt Regisseur Mirko Borscht. "Einen Moment der Besinnung. Der Weltuntergang wird immer als etwas Tragisches empfunden. Aber das ist eine egoistische Perspektive: Es würde der Welt gut tun, sie sich selbst zu überlassen."
Bei der Meditation alleine wird es diese vierte Folge aber nicht bewenden lassen. Es wird ein Bildschirm auf dem Gelände stehen, der ebenfalls wirkt wie vom Himmel gefallen. Darauf ist zu sehen, wie zwei doch noch zurückgekehrte Menschen die verfallenen Baracken von innen untersuchen.
Außerdem wird es schneien und regnen und die echte Wölfe werden - möglicherweise - heulen, wenn es die Wölfe auf dem Bildschirm tun. Im Vergleich zu herkömmlichen Stücken wird "Unwetter" trotzdem mit wenig Dramatik auskommen. Es wird wieder eine Schule der Wahrnehmung sein - ähnlich wie die ersten drei Folgen, nur möglicherweise ruhiger.
Bei denen war es um das Abschiedsfest der Menschen gegangen (I), um die Fortpflanzung (II) sowie um das Wachsen und Weichen (III). Regie führte in allen drei Fällen Tobias Rausch, der sich das Gesamtkonzept zusammen mit seiner Gruppe "Lunatiks Produktion" ausgedacht hat. Als Inspiration diente den Theatermachern Alan Weismans Buch "Die Welt ohne uns".
In Rauschs ersten drei Inszenierungen ging es deutlich mehr um die Pflanzen als nun in Folge vier: Beim "Abschiedsfest" gabs geröstete Lilienblüten vom Pflanzengrill, bei der "Fortpflanzung" wurde vom Gruppensex der Nebelkappen und den 13 Geschlechtern von Schleimpilzen berichtet und beim "Wachsen und Weichen" landete eine Primel in einer Mikrowelle um zu demonstrieren, wie es ist, wenn eine Buche anderen Pflanzen den Lebenssaft entzieht.
Eigentlich ist die Idee bei "Die Welt ohne uns", auf menschliche Schauspieler ganz zu verzichten - das allerdings hat in radikaler Form bisher nicht geklappt. Auch das Vorhaben, neue Formen des Erzählens zu entdecken, ist nicht immer geglückt: "Wachsen und Weichen" sei eine "Referatsperformance" gewesen, schrieb das Online-Magazin Nachtkritik. "Die Pflanzen werden angespielt von Darstellern, die auch ein bisschen singen, ein wenig scherzen, vor allem aber Informationen wieder geben."
Das "Unwetter" von Regisseur Mirko Borscht, 40, wird nun allerdings eine andere Tonlage anschlagen. "Es ist der Versuch, die Menschen in einem ruhigen Sinne in einen Rauschzustand zu versetzen. Sie sollen gefangen sein im Besuch dieser Welt."
Borscht möchte das "Gefühl einer Atmosphäre" herstellen, er will den Verfall in seiner Schönheit zeigen, will einen Ort kreieren, der bei allem Niedergang eine positive Ausstrahlung hat. "Wenn die Menschheit aussterben würde, wäre das für die Erde eigentlich ganz gut", sagt Borscht. "Das ist unsere ketzerische These."
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