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Archiv-Artikel

Expansion statt Steuern

Rückstellungen II: Die Atomkonzerne nutzen ihre steuerfreien Milliarden sogar, um in fremden Branchen zu investieren – wie Wasser, Müllentsorgung oder Immobilien

FREIBURG taz ■ Es sind keine Peanuts, um die es bei den Atomrückstellungen geht. Allein Eon weist in seinem Geschäftsbericht des Jahres 2004 fast 13,5 Milliarden Euro an „Rückstellungen für Entsorgung im Kernenergiebereich“ aus. Mehr als 8 Milliarden davon entfallen auf die Stilllegung der Reaktoren, gut 5 Milliarden auf die Entsorgung der verstrahlten Brennelemente. Hätte Eon diese Summen in den vergangenen Jahren regulär versteuern müssen, so wäre rund die Hälfte davon an den Finanzminister geflossen.

Dieses Privileg genießen alle Betreiber von Atomreaktoren. Auch RWE und EnBW haben sich inzwischen ein steuerfreies Finanzpolster in Höhe von jeweils fast 10 Milliarden Euro aufgebaut. Über die geringsten Atomrückstellungen unter den großen vier Stromkonzernen verfügt derzeit Vattenfall mit 1,3 Milliarden Euro. Insgesamt belaufen sich die steuerfreien Rückstellungen auf etwa 30 Milliarden Euro.

Es ist unbestritten, dass in den kommenden Jahren und Jahrzehnten für den Abbau der strahlenden Reaktoren saftige Kosten anfallen werden. Deshalb stehen die Rückstellungen an sich auch nicht in Frage. Lediglich ihre Verwendung stößt auf Kritik. Denn diese Gelder liegen nicht irgendwo gebunkert oder sind in sicheren Staatspapieren geparkt – sondern sie werden von den Konzernen genutzt wie reguläre Erträge. Das heißt: Die Firmen arbeiten mit ihnen und investieren sie gezielt. Das brachte dieser Konstruktion wiederholt den Vorwurf ein, sie würde den Wettbewerb verzerren, weil Stromfirmen ohne Atommeiler über diesen Steuervorteil nicht verfügen.

So konnten die Atomstromer sich in den vergangenen Jahren Beteiligungen leisten, die andernfalls nicht finanzierbar gewesen wären. Das Portfolio der vier Großen im Lande ist entsprechend bunt bestückt – von der Müllentsorgung bis zur Wasserversorgung, vom Wohnungsbau bis zur Chemie. EnBW versenkte viel Geld mit der Firma Thermoselect, RWE kaufte sich in den britischen Wasserversorger Thames Water ein, und Eon agiert mit der Firma Viterra im Immobiliengeschäft – nur um ein paar Beispiele zu nennen. Und auch die Expansion nach Osteuropa trieben die Konzerne zum Teil ganz massiv voran. Speziell Eon ist im dortigen Strom- und Gasgeschäft mit teils üppigen Beteiligungen präsent. Oft wurde auch die inländische Konkurrenz aufgekauft: Wieder war dabei besonders Eon vorneweg, das bei sehr vielen Stadtwerken Beteiligungen erworben hat.

Ob die Gelder halbwegs sicher investiert oder spekulativ eingesetzt werden, entscheidet das jeweilige Unternehmen selbst. Kritiker fürchten daher – bestärkt durch die Pleite des amerikanischen Energiekonzerns Enron –, dass die Rückstellungen gar nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stehen könnten, wenn sie denn eines Tages aktiviert werden müssen.

Aus diesem Grund hatte der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer bereits 1999 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Rückstellungen der Atomwirtschaft in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführen sollte (siehe oben). Doch das wollen die Stromkonzerne natürlich verhindern – denn dies würde ihnen Liquidität entziehen und damit ihre Expansion bremsen. BERNWARD JANZING