piwik no script img

Exodus der Serben geht weiter

■ Serbische Bevölkerung verläßt die Vororte von Sarajevo. Vor allem ehemalige Soldaten haben Angst vor Racheakten

Split (taz) – Viele Serben haben am Samstag die Region um Sarajevo verlassen, die am 19. März unter die Kontrolle der bosnischen Behörden gestellt wird. Der Auszug geht organisiert vor sich. Der Bürgermeister der Stadt Hadzici, Ratko Radić, organisierte Busse, die 800 Menschen nach Bratunac brachten. Bratunac liegt 10 Kilometer von Srebrenica entfernt in der sogenannten „Serbischen Republik“. Die aus Hadzici Evakuierten werden in von Muslimen verlassenen Wohnungen in der einstmals mehrheitlich muslimischen Stadt untergebracht.

Der Auszug eines Großteils der serbischen Bevölkerung sollte von der Administration des „Hohen Repräsentanten“, Carl Bildt, verhindert werden. Seit Anfang des Jahres bemühen sich die internationalen Verhandler, die serbische Bevölkerung zum Bleiben in diesen Regionen zu bewegen. Die Bildt-Administration richtete bosnisch-serbische Kommissionen ein, um alle Probleme im Einvernehmen zu lösen. Carl Bildt hatte sogar unter Bruch des Abkommens von Dayton serbische Polizei über den Stichtag D-45 hinaus in den betreffenden Regionen zugelassen. Weiterhin wurden die bosnischen Behörden dazu bewegt, eine Amnestie für serbische Soldaten auszusprechen. Kriegsverbrecher jedoch sind von dieser Regelung ausgenommen.

Nur etwa 10 bis 20 Prozent der serbischen Bevölkerung werden nach Schätzungen über den 19. März hinaus an ihren Wohnorten bleiben. Es handelt sich dabei meistens um Grund- und Hausbesitzer und Menschen, die in gemischten Ehen leben. Vor allem ehemalige Soldaten und ihre Familien wollen jedoch nicht mehr in der Region bleiben, da sie die „Rache“ der Muslime fürchten.

Diese Angst wird durch die Repräsentanten der „Serbischen Republik“ systematisch geschürt. In Propagandasendungen werden Greuelmärchen verbreitet, die nationalistischen Extremisten wollten verhindern, daß es erneut zu einem friedlichen Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen komme, heißt es aus dem Haus der Bildt-Administration.

Die durch den Krieg erzwungene ethnische Trennung solle weiterhin gültig bleiben, interpretierte der Vertreter von Carl Bildt, Michael Steiner. Der bosnische Ministerpräsident Hasan Muratović erklärte gegenüber der taz, es werde zu keinen Racheakten kommen, die Serben seien bosnische Staatsbürger wie alle anderen auch. Sonderrechte für Serben dürfe es jedoch auf keinen Fall geben.

Die betreffenden Vororte Sarajevos waren vor dem Krieg ethnisch gemischt und hatten eine muslimische Bevölkerungsmehrheit. Die meisten der Muslime wurden 1992 zur Flucht in die Stadt oder in die angrenzenden freien Gebiete gezwungen. Viele der Flüchtlinge wollen in ihre Wohnungen und Häuser zurück. Deshalb kritisierten sie die Entscheidung Carl Bildts, die Anwesenheit der serbischen Polizei in diesen Vierteln bis zum 19. März zu verlängern, denn sie fürchten um ihren Besitz.

In der Tat ist zu beobachten, daß alles bewegliche Mobiliar sowie Teile der Infrastruktur durch die Serben abgebaut werden. Einige Muslimen gehörende Häuser wurden systematisch zerstört. Im Volkswagenwerk von Vogosca werden bis heute die Anlagen demontiert und in die serbische Republik gebracht. Viele der 1992 vertriebenen Muslime und Kroaten befürchten nun, daß vor dem 19. März die Häuser brennen werden. Wie gespannt die Lage ist, zeigt, daß Heckenschützen in den letzten Tagen wiederholt Busse beschossen, die seit zwei Wochen den Vorort Ilidza mit Sarajevo verbinden. Erich Rathfelder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen