piwik no script img

Ex-Stasi-Bastille besetzt

■ 30 Vokskammerabgeordnete und Mitarbeiter des Komitees zur Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit in der Normannenstraße / Sie wollen gehen, wenn DDR-Länder Zugriff auf Akten bekommen und der BND Daten nicht benutzen darf

Lichtenberg. Die Präsidentin der Volkskammer, Sabine Bergmann-Pohl (CDU), bemühte sich gestern vergeblich: Die 30 BesetzerInnen ließen sich von ihr aus der ehemaligen Stasi -Zentrale in der Normannenstraße nicht hinausreden. Bergmann -Pohls Argument, daß die Mitglieder einer zerronnenen Bürgerbewegung „doch auch die Demokratie gewollt“ hätten und „Rechtsstaatlichkeit nicht einfach durch Besetzungen von Häusern verletzen“ dürften, klang wie Hohn. Reinhard Schult, Mitarbeiter des staatlichen Komitees zur Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit, antwortete der Präsidentin nüchtern, daß die Demokratie vor allem dadurch verletzt werde, daß „DDR-Bürger noch immer nicht Einblick in ihre Stasi-Akten bekommen“ und „Ermittlungsverfahren gegen ehemalige Stasi-Mitarbeiter behindert“ würden. Die Leute, die seit gestern mittag im Haus 7 den Raum 365 mit Fruchtsäften und Funktelefon besetzt halten, wurmt aber vor allem, daß entsprechend dem Einigungsvertrag die 168 Kilometer messenden Aktenbestände einem Sonderbeauftragten der Bundesregierung unterstellt werden sollen. Für die Öffentlichkeit sei der Zugang zu den Datensammlungen verschüttet, aber bundesdeutsche Geheimdienstbehörden dürften in den Blättern schnüffeln.

Nachdem Bergmann-Pohl anläßlich der medienwirksamen Aktion extra mit Innenminister Diestel telefoniert hatte, konnte sie in der Normannenstraße nur mit ihren treuen Augen in die Menge blinzeln. Denn der Minister, wegen seiner schleppenden Stasi-Aufklärung seit Wochen von Politikern gerügt, sei für die Forderungen der Vertreter des Neuen Forums, der Vereinigten Linken und der Umweltbibliothek nicht zuständig. Den Einigungsvertrag müßten die parlamentarischen Ausschüsse verändern. Doch einen neuen Staatsvertrag werde es nicht geben, erklärte die Präsidentin.

Hans Schwenke, Mitarbeiter des staatlichen Auflösungskomitees, hofft nun, daß die Bundesregierung verspricht, daß „ausschließlich die künftigen DDR-Länder über die Stasi-Akten verfügen dürfen“. Die Aktenschränke sollten weder Strafverfolgungsbehörden noch der Öffentlichkeit verschlossen bleiben, so der 56jährige Besetzer. Bisher wird seine Arbeit in der „operativen Abteilung“ des Auflösungskomitees „nur behindert“. Wie seine neun Kollegen muß Schwenke um Akteneinsicht kämpfen. Die Hälfte des Komitees (etwa 180 Mitarbeiter) sollen ehemalige Stasi-Leute sein - Schwenke hat einmal die Personalliste gesehen. Der Chef der Abteilung Schriftgutverwaltung, Eichler, soll früher mit geheimen Verschlußsachen betraut gewesen sein. Eichler war jetzt dafür zuständig, daß die von West-Berlin geforderten „La-Belle„-Akten in der Stasi -Zentrale gefunden und weitergeleitet werden. Obwohl seit Januar das Komitee von den Akten gewußt haben soll, wurden sie erst letzte Woche dem Zentralen Kriminalamt der DDR übergeben. Oberster Chef der Cliquenwirtschaft: Peter -Michael Diestel. Doch diese Vorwürfe sprach Bergmann-Pohl am Telefon nicht an: „Ich hatte nur fünf Minuten, um mit dem Innenminister zu reden.“

Dirk Wildt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen