Ex-Sprecherin von UN-Chefanklägerin: Verhaftet vor dem Gericht
Wurden beim UN-Tribunal für Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien politische Absprachen getroffen? Der Fall Hartmann könnte das nahelegen.
Das war schon eine denkwürdige Szene vor dem Gebäude des UN-Tribunals für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY) im niederländischen Den Haag: Am 23. März, dem Tag, an dem das Urteil gegen den Exführer der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, gefällt werden sollte, wurde die ehemalige ICTY-Mitarbeiterin Florence Hartmann plötzlich von Polizisten abgeführt und in Haft genommen.
Es kam zu tumultartigen Szenen, denn Hartmann war umringt von Frauen aus der ehemaligen UN-Schutzzone Srebrenica in Bosnien, die zusammen mit der 1963 Geborenen auf das Urteil warteten.
Das ICTY hatte die von 2000 bis 2006 als Sprecherin der Chefanklägerin Carla del Ponte tätige Hartmann im Jahre 2009 zu einer Geldstrafe von 7.000 Euro verurteilt. Die Richter monierten, die Exjournalistin, die in den 80er und 90er Jahren für die französische Tageszeitung Le Monde aus (Ex-)Jugoslawien berichtet hatte, habe in ihrem 2007 erschienenen Buch „Friede und Strafe“ als Sprecherin der Anklage erworbene Kenntnisse über geheime Vorgänge widerrechtlich benutzt.
Tatsächlich schrieb Hartmann, das Gericht hätte im Rahmen des Prozesses gegen Serbiens Exstaatschef Slobodan MiloševićBeweise für eine Verwicklung des serbischen Staates in nach der Eroberung Srebrenicas 1995 begangene Verbrechen zurückgehalten. Damit wären dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC), der über diese Verwicklung befinden sollte, vom ICTY belastendes Material vorenthalten worden. Zudem haben die Überlebenden von Srebrenica für Hartmann ein Anrecht darauf zu wissen, warum das Tribunal Beweise geheim halten wollte.
Das Urteil hatte die Autorin ignoriert. Deshalb muss sie jetzt eine siebentägige Haftstrafe absitzen. „Ich habe eine Entscheidung veröffentlicht, in der die Richter sinngemäß sagen: Wir halten sehr wichtige Materialien über das Milošević-Regimegeheim, weil Serbien dann Millionen bezahlen müsste, wenn Bosnien Reparationen verlangen würde“, erklärte Hartmann erst kürzlich.
Der Fall Florence Hartmann hat eine große Brisanz, weil mit ihm nach Ansicht von Kritikern ersichtlich wird, dass beim ICTY insgeheim politische Absprachen getroffen worden sind. In Bosnien wird jetzt vermutet, dies gelte auch für den Prozess gegen Radovan Karadžić, bei dem von bosnischen Serben begangene Massenmorde und die Errichtung serbischer Konzentrationslager während des Bosnienkrieges nicht als Belege für einen Genozid eingestuft wurden.
Florence Hartmann ist seit Mitte der 80er Jahre mit dem Ingenieur Emil Domankusićverheiratet. Das Paar hat zwei Kinder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen